Mantelkinder
deine Nutten und Zuhälter …“
„Gib mir Futter, und meine Nutten und Zuhälter sind ganz diskret“, unterbrach Chris sie schnell. Aber er war keineswegs sicher, ob er diese Zusage auch würde halten können. Im Rotlichtmilieu und bei den Kriminellen, mit denen er es normalerweise zu tun hatte, gab es nur wenige — ungeschriebene — Gesetze. Sich gegenseitig die Kehle durchschneiden, prügeln, stehlen und erpressen gehörte zum Geschäft und wurde akzeptiert. Aber wer einem Kind etwas antat, musste aufpassen, dass er nicht als Fischfutter im Rhein landete. Und wenn Chris ein paar Leute um Hilfe bat, würde sich die halbe Szene für „ihren Herrn Doktor“ zerreißen und vielleicht auch übers Ziel hinausschießen.
„Das ist Erpressung!“, zischte Susanne und blähte die Nasenflügel. „Hundsgemeine Erpressung!“
„Sieh es mal so: Ich vertrete nur die Interessen der Seibolds.“
„Du … du … Mistkerl!“, brüllte die Kommissarin und sprang so heftig auf, dass der Stuhl mit lautem Poltern umfiel. „Rauswerfen sollte ich dich! Auf der Stelle! Das ist ja wohl das hinterlistigste Argument, das ich je gehört habe! Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank! Du …“
„Is´ was passiert?“ Der schwarz gelockte Kopf des kleinen Müller erschien im Türspalt. „Ich hab gehört …“
„Ist mir egal, was du hörst! Mach, dass du wegkommst!“, schnauzte Susanne in seine Richtung und Müller trat schleunigst den Rückzug an. Aber diese kleine Unterbrechung hatte genügt, um sie halbwegs zu beruhigen. Ebenso schnell wie sie explodierte, regte sie sich auch wieder ab.
Sie stellte den Stuhl auf die Beine und murmelte dabei vor sich hin, fast so, als wäre Chris gar nicht vorhanden. „Wenn ich gescheit wäre, würde ich dich nicht nur rauswerfen. Ich würde dich in Ketten legen und keine Sekunde aus den Augen lassen, bis die Sache vorbei ist. Aber da ich selber die Idiotin war, die dich den Seibolds empfohlen hat …“
Die Kommissarin ließ sich auf ihren Platz fallen und beugte sich weit über den Schreibtisch. Ihre dunklen Augen funkelten immer noch wütend. „Damit eins klar ist: Wenn ich dir jetzt Details liefere, hat das einen einzigen Grund: Ich will nicht, dass du blind herumstocherst und Bockmist machst. Ich will dich unter Kontrolle haben.“
Sie holte tief Luft und fuchtelte mit erhobenem Zeigefinger vor seiner Nase herum. Wieder redete sie sich in Rage. „Und, Christian Sprenger, du wirst nicht den kleinsten Schritt tun, ohne das mit mir abzusprechen. Und wenn du meinst, du hättest etwas herausgefunden, bin ich die Erste, die das erfährt. Haben wir uns verstanden?“
Chris nickte wie ein braver Schuljunge und hatte Mühe, nicht triumphierend zu grinsen.
Susanne blähte die Nasenflügel noch einmal und schnaubte. Es war eine Mischung aus Wut und Resignation. Meistens war sie die Letzte, die erfuhr, wenn er auf eine Spur gestoßen war. Und trotz ihrer Moralpredigt hatte sie wahrscheinlich wenig Hoffnung, dass sich daran etwas änderte.
„Also: Auf unserer Hotline sind bisher hunderteinundsiebzig Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen“, begann sie, von einer Sekunde zur anderen völlig ruhig, „und es werden stündlich mehr. Wenn wir die üblichen Geschichten von wegen `Mein Nachbar ist Sozi, der war´s bestimmt´ abziehen, bleiben hundertsiebzehn Meldungen, denen wir ernsthaft nachgehen. Neunundneunzig davon beziehen sich unmittelbar auf die Gegend, in der Claudia verschwunden ist, die restlichen achtzehn auf das Gremberger Wäldchen. Abends ist da halt nicht viel los.“
„Früher sind da die Liebespärchen hingefahren“, warf Chris ein.
Susanne nickte bedächtig. „Heute auch noch. Um diese Jahreszeit vögeln die meisten aber im Auto und kriegen nicht viel mit. Wir haben eine Zivilstreife postiert, die die regelmäßigen `Besucher´ befragen soll. Zurzeit frieren die sich allerdings noch umsonst den Hintern an. Nach der Sache ist es vielen dort wahrscheinlich im Moment zu unheimlich.
Einige von unseren Leuten treiben sich auch auf den Uni-Wiesen am Chemischen Institut herum. Irgendwo in dem Bereich muss sie verschwunden sein. Weil da jeden Tag Hunderte von Studenten sind, hoffen wir, dass einer von ihnen was gesehen hat.“
Sie griff zum Telefon und wies jemanden an, Kaffee zu bringen.
„Wo war ich? Ach ja: Der letzte, der Claudia vermutlich lebend gesehen hat, ist der Besitzer eines Friseurladens in der Berrenrather Straße. Er hat sie gekannt, weil Monika
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