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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Perlzwiebel aus dem Bart.
    Frauke sah ihren Vater empört an und stemmte die kleinen Hände in die Hüften. „Also, das ist Quatsch, Papi! Ihr Roller ist doch weg, hast du aus der Zeitung vorgelesen.“
    „War Claudia eine Freundin von dir?“, fragte Chris, um dem Papi weitere Peinlichkeiten zu ersparen.
    „Nee!“ Das Kind schüttelte energisch den Kopf. „Die war doch immer mit der Anja zusammen. Und Anja ist doof.“
    „Hast du noch nie was von erzählt“, wunderte sich Silke.
    „Anja sagt immer, wir hätten ´ne blöde Klassenlehrerin und ihre wäre viel netter. Dabei ist die schon urururalt, und jetzt ist sie auch noch umgekippt, als sie gehört hat, dass Claudia gestorben ist.“
    Eher, als sie gehört hat, wie Claudia gestorben ist, überlegte Chris, aber er hielt natürlich den Mund.
    Kurz darauf verfrachtete Karin ihren Sonnenschein ins Bett und las ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, lag ein leicht mokantes Lächeln auf ihrem Gesicht.
    „Du wirst ins Spaßbad müssen“, verkündete sie ihrem Liebsten.
    „Ins was?“ Das Entsetzen in seiner Stimme war nicht zu überhören.
    „Spaßbad! So mit allem Drum und Dran. An einem der nächsten Wochenenden. Frauke, du und ich. Hat das Kind beschlossen.“
    „Irre“, murmelte Chris ohne Begeisterung. Die Aussicht auf einen Tag mit kreischenden Kindern auf der Wasserrutsche, künstlichen Palmen, tropischer mit Chlorgeruch geschwängerter Luft und einem völlig überteuerten Restaurant versetzte ihn nicht gerade in Ekstase. Aber natürlich konnte auch er diesem sechsjährigen Charmebündel nichts abschlagen. Also verdrehte er nur die Augen und fügte sich in sein Schicksal. An einem der nächsten Wochenenden, hatte Karin gesagt. Das war hoffentlich noch lange hin.
    Horst klopfte ihm freundschaftlich auf die Schultern und gab zum Trost eine Runde Cognac aus.
    Sie saßen lange beieinander, und Silke erzählte ausführlich, wie sehr Frauke sich im Moment mit dem Thema Tod auseinandersetzte. Sie malte Bilder mit Kisten, die Kreuze trugen und Männer mit weißen langen Bärten, die wohl Gott darstellen sollten. Der Franz war schon ein paar Mal „gestorben“ und unter Tränen „beerdigt“ worden. Und schließlich war der Jubel groß, wenn der Franz wieder „auferstand“. So hatte schließlich der Religionslehrer, eben jener Kaplan Dürwald, das erklärt mit dem Tod und der Auferstehung.
    „Wisst ihr“, sagte Silke zum Schluss, „letztes Jahr, als mein Vater gestorben ist, das war auch schlimm für sie. Aber er war in ihren Augen ein alter Mann gewesen, das konnte sie besser akzeptieren.“
    „Gestern Abend hat sie zu mir gesagt, dass sie jetzt wirklich glaubt, dass die bösen Männer, vor denen wir immer warnen, tatsächlich böse sind und dass sie ganz bestimmt mit keinem mitgeht“, sagte Horst.
    „Claudia wusste auch, dass sie mit niemandem mitgehen sollte“, erwiderte Chris dumpf und drehte nachdenklich seinen Cognac-Schwenker.
    „Das ist es ja!“ Horst stopfte sich umständlich eine Pfeife. „Wir reden viel mit Frauke, wir treffen Absprachen, wir wissen, mit wem sie unterwegs ist, und im Moment lassen wir sie gar nicht mehr alleine laufen. Aber auf Dauer … ich meine, du kannst dein Kind ja nicht festbinden. Und das macht mir schon Angst.“
     

Donnerstag, 8. November
     
    Susanne war mal wieder auf dem Sofa eingeschlafen. Und als sie jetzt an ihrem Schreibtisch saß, versuchte sie mit kreisenden Schulterbewegungen ihre verspannten Muskeln zu lockern.
    Sie polkte ein Stückchen Dreck unter dem Daumennagel hervor und betrachtete die wachsenden Papierberge auf den beiden Schreibtischen. Plötzlich sah sie sich am Fuß des Mount Everest stehen und Millimeter um Millimeter nach oben hangeln — ohne Seil und ohne Haken. Sie musste die Ermittlung vorantreiben, ihre Leute motivieren, sie durfte nichts übersehen, nicht ungeduldig werden …
    Und sie musste Chris im Auge behalten. Natürlich würde er sich einmischen. Massiv sogar. Das war nicht zu verhindern. Ebenso wenig wie sie unterbinden konnte, dass spätestens heute die halbe Kölner Unterwelt auf Mörderjagd ging. Und wenn das den Täter so verschreckte, dass er auf ewig abtauchte? Oder würde ihn das unter Druck setzen und er machte womöglich einen Fehler? Sie hatte keine Ahnung. Und sie hatte auch keine Ahnung, wie sie Chris zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bewegen sollte.
    „Die Quadratur des Kreises“, murmelte sie, als Hellwein hereinkam.

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