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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Er trug einen dunklen Anzug und über dem blütenweißen Hemd eine seiner typischen Krawatten: Auf himmelblauem Grund waren winzige gelbe Entchen gedruckt.
    Er sah genauso übernächtigt aus wie sie und grüßte mit einem mürrischen: „Morjn. Bist du aus dem Bett gefallen?“
    Susanne sah demonstrativ auf die Uhr. Halb neun. Sie sagte ihm nicht, dass sie selbst erst seit fünf Minuten hier war.
    „Ich wollte nur mal sehen, ob meine engsten Mitarbeiter auch pünktlich sind.“ Sie lächelte verkniffen. „Dir muss ich leider drei Gummipunkte abziehen.“
    „Du liebe Güte, gleich drei!?“
    Sie begann, an den Fingern abzuzählen. „Erstens: Du bist zu spät. Zweitens: Deine Krawatte ist wie üblich zum Kotzen. Drittens: Deine völlig unangemessene Begrüßung. — Wie heißt das richtig?“
    „Einen wunderschönen guten Morgen, sehr verehrte Frau Kriminalhauptkommissarin. Haben Gnädigste gut geschlafen?“ Hellwein machte grinsend einen tiefen Diener, und der Schlips baumelte nach vorn. In gebückter Haltung beäugte er ihn prüfend. „Du hast Recht — sie ist zum Kotzen.“
    „Wer ist zum Kotzen?“ Maurer war hinter ihm eingetreten und schaute fragend in die Runde. Ein grauer Pulli mit Zopfmuster spannte über seinem Bauch.
    Hellwein, immer noch tief gebeugt, lief puterrot an. Susanne schaute mit sehr ernstem Gesicht an die Decke.
    Schließlich richtete Hellwein sich auf und brachte heraus: „Meine … Krawatte, Herr Oberkriminaldirektor.“
    Maurer musterte ihn von oben bis unten, kritisch und lange. Dann zog er eine Augenbraue hoch und nickte schmunzelnd. „Stimmt! Eine Zumutung, wenn Sie mich fragen. — Haben Sie was für die Pressekonferenz heute Nachmittag?“
     
    Natürlich hatten sie nichts, was die Medien auch nur halbwegs zufriedengestellt hätte. Aber das war´s nicht, was Hellwein so schweigsam machte, während sie zur Grundschule Berrenrather Straße fuhren, um das Lehrpersonal noch einmal zu vernehmen.
    Nein, er grübelte über das Verhalten seiner Vorgesetzten nach. Normalerweise scherte sie sich nicht darum, wie er aussah. Sie bemerkte nicht, ob er ein neues Hemd trug oder beim Friseur gewesen war. Es würde ihr wahrscheinlich nicht mal auffallen, wenn er in Bermudas und Badelatschen im Präsidium erschien. Dass sie sein Äußeres heute zur Kenntnis genommen hatte, auch wenn es nur die Krawatte war, konnte man rot im Kalender anstreichen. Und dass sie von sich aus so ein Geplänkel wie eben anfing, war bis vor wenigen Wochen nicht vorgekommen. All die Jahre nicht.
    Sie war bei den Kollegen bekannt dafür, dass sie „zum Lachen in den Keller geht“, und nur wenige waren gern in ihrem Team. Für die meisten galt Hellwein als das arme Schwein, das mit ihr zusammenarbeiten musste. Er selbst kam sich selten so vor, obwohl Susanne es ihm wahrlich nicht leicht machte. Oft war sie unfreundlich, sah in ihm nur den Kollegen, aber nie den Mann dahinter und konnte kaum einer Situation etwas Komisches abgewinnen. Aber er hatte sich daran gewöhnt.
    So sehr, dass er jedes Mal neben sich stand, wenn sie einen Anflug von Heiterkeit und Lebensfreude zeigte, wie häufiger in letzter Zeit. Angefangen hatte es im Sommer, als sie eine Urlaubskarte von Doktor Sprenger bekam. Darauf war als P.S. vermerkt: „Karin droht, dich stundenlang unter den Füßen zu kitzeln, wenn sie ihre Hasselblad nicht bald bekommt!!!“ Susanne war in wieherndes Gelächter ausgebrochen, und Hellwein war vor Verblüffung der Mund offen stehengeblieben. Sie grinste noch, als sie mit der geliebten Kamera von Karin Berndorf, die sie als Beweisstück gebraucht hatten, aus der Asservatenabteilung zurückkam und sie vorsichtig auf ihren Schreibtisch stellte.
    Damals war zum ersten Mal etwas von der Frau aufgeblitzt, die sie wahrscheinlich gewesen war, bevor ihr Mann starb. Von diesem Tag an geschah es ab und zu, dass sie eine Art von Humor zeigte, was Hellwein immer noch verwirrte. Und jetzt überlegte er wieder einmal, was der Auslöser dafür gewesen war. Sicher nicht die Postkarte. Die war Wirkung einer Ursache, die davor lag. Aber was, zum Teufel, war das gewesen?
    Er kam einfach nicht drauf, und die erneute Befragung der Lehrer, die mit Claudia direkt zu tun gehabt hatten, lenkte ihn von seinen Grübeleien ab. Die Gespräche waren für alle belastend, aber manchmal fiel einem Zeugen erst bei der zweiten oder dritten Vernehmung ein entscheidendes Detail ein. Deshalb hatte Susanne sich zu diesem Schritt entschlossen.
    Die Lehrer

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