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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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ehe sie zum Ende kam. Es war eine stichwortartige Zusammenfassung entsetzlicher Verbrechen: Julia H., 8 Jahre, Biebertal, 2004 missbraucht, erschlagen und verbrannt, Täter gefasst; Tristan B., 13 Jahre, Koblenz, 2008 erdrosselt, verstümmelt, Täter nicht gefasst; Marie B., Eberswalde, 2003 missbraucht, erwürgt, Täter gefasst.
    Zeile um Zeile reihte sich untereinander: Hanna S., 8 Jahre; Christina N., 11 Jahre; Peggy K., 9 Jahre; Kristin, 7 Jahre; Marc, 8 Jahre; Jessica, 11 Jahre …
    „Mein Gott“, murmelte Susanne. Jeder einzelne Name versetzte ihr einen Stich.
    „Wir haben alle Fälle der letzten zehn Jahre durchleuchtet“, erklärte Hellwein und zog seine weinrote Krawatte zurecht. „Entweder die Täter sitzen ein oder aber der Tatablauf ist völlig anders.“
    „Was hatten wir hier in Köln?“
    Hellwein griff nach einer grünen Mappe und schlug sie auf. „Zwei Fälle, liegen aber länger zurück. Zwotausend, ein Junge, missbraucht und mit einem Stein erschlagen. Er war acht. Und wir hatten noch diese Migrantin.“
    „Hanife, ich erinnere mich“, unterbrach Susanne ihn. „Muss ein, zwei Jahre vor dem Jungen gewesen sein. Sie war sechzehn, als sie vergewaltigt und erwürgt wurde.“
    „Warst du damals an den Ermittlungen beteiligt?“
    „Am Rande. Aber ich kann mich noch gut erinnern. Wir haben unendlich viele Spuren gesichert, uns monatelang die Hacken abgelaufen, für nichts und wieder nichts. Das Schwein läuft heute noch frei herum. — Wie weit sind wir mit den einschlägig Vorbestraften im Raum Köln?“
    „Bei etwa dreißig Prozent scheinen die Alibis, die sie uns genannt haben, zu stimmen. Fünfzehn Prozent sitzen zurzeit ein, an dem Rest sind wir noch dran.“
    „Was ist mit der Kleinen aus dem Mauritiusviertel?“ Dort war im Frühjahr eine Zwölfjährige in einem Hausflur missbraucht worden.
    Hellwein zuckte die Achseln. „Passt nicht. Ich hab mit den Kollegen gesprochen. Spontantäter. An unserem Mann hier ist nichts Spontanes.“
    „Da sagst du was“, gab Susanne zurück und zog fröstelnd ihre mageren Schultern hoch.
     
    ********
     
    Chris hatte den Schock von gestern Abend immer noch nicht ganz verdaut. Die Szene am Esstisch stand wieder lebhaft vor seinen Augen. Auf Karins Frage: „Und? Wie gehen wir vor?“, brachte er zunächst nur ein verdutztes Gestammel heraus.
    Bis Karin lachte und sagte: „Es stimmt! Stottern hat was. Ich liebe dich auch, wenn du stotterst.“
    Dann wurde sie wieder ernst und erklärte: „Du hast Recht, Chris. Wenn es Frauke gewesen wäre, würde ich alles tun, um dieses Schwein hinter Gitter zu bringen. Claudia, Frauke oder sonst ein Kind, das macht keinen Unterschied. Lass uns zusehen, dass er es nicht nochmal tun kann.“
    „Uns?“, brachte Chris in fassungslosem Staunen heraus. Die Frau, die Gewalt abgrundtief verabscheute, die seinen Beruf manchmal entsetzlich fand, die murrte, weil er eine Pistole in seiner Nachttischschublade aufbewahrte, wollte ernsthaft einen Mörder stellen?
    Plötzlich glomm liebevoller Spott in ihren Kieselaugen. „Schön, dass dich die alte Berndorf auch nach fünf Monaten noch überraschen kann. Und jetzt könntest du mich eigentlich küssen, statt mich immer nur anzustarren.“
    Er ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Aber „uns“ und „wir“ war gewöhnungsbedürftig. Das hatte im Zusammenhang mit seinen unerbetenen Ermittlungen noch niemand gesagt.
    Nun, er würde damit klarkommen, dachte er jetzt, als sie einen Supermarkt auf der Sülzburgstraße betraten. Der Laden gehörte zu der Kette, deren Preisschild auf den Lakritzschnecken klebte und lag ganz in der Nähe von Claudias Schule. Deshalb hatte Chris ihn ausgewählt.
    Sie gingen zur nächstbesten Kassiererin und fragten nach dem Filialleiter.
    „Hinten, beim Sprit, glaub ich“, wurden sie beschieden.
    Servicewüste Deutschland, ärgerte sich Chris. Aber sie fanden den Chef der so „kundenfreundlichen“ Dame tatsächlich vor dem Spirituosenregal, wo er irgendetwas in eine Liste kritzelte. Er war sehr groß, und seine Augenpartie erinnerte stark an Burt Lancaster, den Chris so verehrte.
    Er stellte keine unnötigen Fragen, nachdem Chris sich als Anwalt ausgewiesen hatte, sondern sah sich das Etikett auf der Tüte genau an.
    „Also, von hier ist das nicht“, sagte er und schüttelte den Kopf.
    „Sind Sie sicher?“, hakte Karin nach.
    „Das können Sie wohl glauben“, grinste er. „Im Prinzip benutzen wir keine Preisschilder mehr. Geht ja alles

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