Mantramänner
an, von der verlockender Kaffeeduft kam. Viele Knöpfe. Viele stählerne Düsen. Ich nahm ein hohes, geriffeltes Glas vom Stapel, stellte es auf das Abtropfgitter und drückte auf einen Knopf.
Nichts passierte.
Ich zog am Glas.
»Vorsicht«, rief jemand hinter mir, »da musst du ein bisschen …«
Ich wagte einen Blick über die Schulter. Ozean-Augen, kindliche Locken. Schokostreuselsurfer und Anzugmodel.
Ojesusoshivaoh… na, und so weiter.
Wozu hatte ich eigentlich ein halbes Jahr lang täglich die Sonne gegrüßt, wenn dieser Mann immer noch in einer Sekunde gleichzeitig an meine niedersten Instinkte appellieren und mich mitten ins Herz treffen konnte? Ich hätte gern einen Buddha gefragt. War aber keiner da.
»… warten«, beendete Chris seinen Satz. Im gleichen Moment fauchte die Maschine los wie ein erwachender Drache, und ein Schwall heißer Milch schoss aus den Düsen. Eine verdammt attraktive Hand griff an mir vorbei und schob das Glas zurück in die richtige Position.
»So«, sagte Chris, »jetzt bist du mir aber zuvorgekommen.«
»Zuvor?«, stammelte ich. »Du warst doch viel schneller.«
»Schon«, sagte er, ließ seine Hand sinken und nickte wie ein eifriger Schuljunge, »aber ich hätte dir gern einen mitgebracht.«
Dort, wo er mich beinahe berührt hatte, brannte meine Haut wie nach einem Strandtag direkt unter dem Ozonloch. Mit Sonnenschutzfaktor Null Komma Null.
»Bin ja froh, dass du noch immer welchen trinkst.«
Ich ignorierte tapfer meine Brandverletzung und blickte ihn mit fragend hochgezogenen Brauen an.
»Ich dachte immer, Frauen, die Yoga machen …«, begann er.
»… trinken nur grünen Tee. Ich weiß. Und sie wollen lieber atmen, als …«
Auweia. Jetzt hätte ich beinahe etwas gesagt. Erst ein Fast-One-Night-Stand, dann sechs Monate Funkstille und schließlich das Wort mit drei Buchstaben im zweiten Satz.
Wenn ich zurück zu Hause war, würde ich anonym einen Yoga-Anfängerkurs besuchen. Wo war sie hin, meine geheimnisvolle, gelassene innere Ruhe? Hatte ich denn gar nichts gelernt?
»Atmen? Lieber als was?« Chris sah ehrlich überrascht aus.
Ich zog schnell das heiße Glas an mich und wandte mich von der Espressomaschine ab. Dann tunkte ich meine Oberlippe in den Milchschaum und schüttelte den Kopf. Irgendetwas pladderte noch aus den Düsen, aber ich schaute nicht mehr zurück. Wahrscheinlich das einzig wahre Motto für die nächsten Tage: nicht zurückschauen. Nichts wahrnehmen als das Hier und Jetzt.
»Ach, nichts.«
Chris zuckte etwas ratlos die Achseln und griff nach seinem eigenen Glas, das er auf einem der niedrigen Tischchen abgestellt hatte. Wir standen schweigend, nippten und blickten zwischendurch in unsere undurchsichtigen Getränke. Hoch aufgetürmte Berge weißen Schaums, durch die man unmöglich auf den Grund blicken konnte.
»Hallo Evke«, sagte Chris schließlich leise. Dann legte er mir eine Hand an den Oberarm. Voller Hautkontakt.
Ich zog meinen Arm weg. Es hatte ja keinen Sinn. Ich wollte kein Mitleid. Keine Erklärungen. Und keinen schweren Sonnenbrand.
»Chris«, sagte ich leise, »lass uns einfach so tun, als wären wir erwachsene Menschen. Erwachsene Menschen, die zufällig im gleichen Unternehmen arbeiten. Du musst nicht …«
»Ich wollte dir nur sagen …«
»Nein«, wehrte ich ab, »lass gut sein. Ich kann mir schon denken, warum du dich nie mehr gemeldet hast, lass uns nicht mehr weiter darüber sprechen.«
»Okay«, sagte er und verzog den Mund. Irgendwie – belustigt? Fand er das Scheitern unserer aufkeimenden Liebe derart komisch? Das war es nun auch wieder nicht!
»Okay«, sagte er noch mal, »aber eines muss ich trotzdem loswerden. Dein Kaffee …«
»Wieso? Was ist mit meinem Kaffee?«
»Es ist kein Kaffee. Es ist nur Milch. Du hast dein Glas schon wieder zu früh rausgezogen.«
Verdutzt starrte ich in mein Heißgetränk. Er hatte recht. Jungfräuliches Weiß, von keinerlei dunklen Schlieren durchzogen. Scheinbar war das mein Kernproblem: Mir fehlte einfach das Gespür für das richtige Timing.
Wenigstens, wenn Chris Müller-Nolten und ich die gleiche Raumluft atmeten.
»Hey!« Klaus-Peter kam auf uns zu und hob grüßend ein golden schimmerndes Glas. »Noch jemand ein gepflegtes Pils, zur Feier des Tages?«
Das Hotel, in dem unser Helden-der-Arbeit-Grüppchen untergebracht war, war eine altmodische Villa mit vielen Erkerchen und Türmchen und lag am Fuß des Burgberges von Eivissa. Es hatte alles, was man von einem
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