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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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schicken Wellnesshotel erwarten konnte: Im Spa-Bereich standen Windlichter im Marokkostil, die farblich auf meinen neuen Geburtstagsring abgestimmt waren, die Tische im Restaurant waren mit Rosenblüten geschmückt, und die Enden der Klopapierrollen in den Bädern mit dem Marmorfußboden waren zu akkuraten Dreiecken gefaltet. Vor allem hatte es aber etwas, das ich besonders liebte: eine Dachterrasse.
    Spanische Dachterrassen waren eine Welt für sich. Vor allem, weil sie immer so simpel waren, als hätte ein Zen-Buddhist sie entworfen: rote Fassadenfarbe auf dem Boden, eine hüfthohe, weiß getünchte Mauer, die rundum lief, und Wäscheleinen, die im Wind sangen. Ob in heruntergekommenen Mietshäusern oder noblen Villen, sie sahen überall gleich aus. Was die Dächer anging, waren die Spanier Kommunisten.
    Seltsamerweise nutzte fast niemand in diesem Land seine Dachterrasse, außer um riesige, weiße Laken im Wind zu trocknen. Auch das war überall gleich, ob im sozialen Brennpunkt von Alicante oder in der nobelsten Ecke von Ibizas Hauptstadt. Die Zimmermädchen wunderten sich kopfschüttelnd über die wenigen Gäste, die das Geheimnis der Speichertür lüfteten und dann dort oben unerlaubterweise auf den Handtüchern aus den Zimmern saßen und sich sonnten. Die Gäste wunderten sich über das Hotelmanagement, das nie auf die Idee kam, auch nur eine Garnitur Plastikstühle dort hinzustellen. Geschweige denn, eine schicke Poolbar einzurichten und für den Ausblick eine extra Cocktailsteuer zu erheben.
    Mir war das nur recht. Schon gleich nach dem Einchecken war ich
mit dem altmodischen Käfiglift in den fünften Stock gefahren und hatte nachgeprüft, ob sich die Tür zum Dach auch öffnen ließ. Sie ließ. Den ganzen Tag über, während ein unglaublich gut gelaunter junger Mann mit unglaublich vielen, unglaublich weißen Zähnen unser Grüppchen durch die Altstadtgässchen von Eivissa geschleust hatte, war ich voller Vorfreude auf den späten Nachmittag gewesen, wenn ich mich dort endlich mit einem Menschen treffen konnte, den ich gerade etwas aus den Augen verloren hatte.
    Mit mir selbst.
    Es war halb acht, als ich endlich die alte Holztür zu der Stahltreppe öffnete, die aufs Dach führte. Noch eine halbe Stunde Zeit, bis wir uns in der Lobby treffen sollten, um gemeinsam in eine Tapasbar zu gehen. Leer lag das sonnenwarme rote Dach vor mir. Irgendwo rotierte und prustete schwerfällig eine Klimaanlage. Schwalben zogen ihre eleganten Kreise vor dem Abendhimmel, der mit der gesamten Pastellpalette protzte. Der Angeber. Babyrosa, Zartblau, Silbergrau, Kükengelb.
    Direkt neben der weiß gekalkten Mauer legte ich mich hin und schloss die Augen. Der Boden war uneben und warm unter meinem Rücken und fühlte sich beinahe menschlich an. Nicht perfekt, aber lebendig. Als würde mich dieser ganze Ort umarmen.
    Atmen. Durch den Gedankensturm in meinem Kopf hindurch in das Auge des Hurrikans vordringen. In die tiefe, blaue Ruhe. Ich erinnerte mich an eine Technik, die Siv zu Ende jeder Stunde empfohlen hatte. Alle Muskeln des Körpers nacheinander anspannen und lösen, um hinterher in einem tiefenentspannten Zustand durchs feinstoffliche Universum zu floaten.
    Bein heben, anspannen, fallen lassen.
    Arme heben, Fäuste machen, Finger spreizen, fallen lassen.
    Gewissenhaft ging ich Muskel für Muskel durch. Eine angenehme Off-Stimme begleitete mich dabei, dunkel und sonor. Ich konnte mich nicht erinnern, ob es Sivs war oder die Stimme meines Schreibtischbuddhas. Jedenfalls war sie nicht ganz von dieser Welt.
    »Jetzt spannen wir noch einmal alle Gesichtsmuskeln an, kneifen die Augen zusammen, den Mund, als hätten wir in eine saure Zitrone gebissen.«

    Ich musste daran denken, wie ich damals spätabends auf meinem Balkon gestanden und Chris’ Nummer gewählt hatte. Wie ich mich wild und frei gefühlt hatte und für einen Moment ganz beglückt war von dieser Woge des Gefühls, von der ich mich widerstandslos unterpflügen ließ. Und dann an den nächsten Morgen. Diese strenge Lehrerin, die mit dem Rohrstock in der Hand so energisch an die Wände meines Hirns klopfte, dass sogar die Kobolde aufhörten zu tanzen.
    Evke, du hast doch nicht etwa …?
    »Und jetzt reißen wir die Augen auf, den Mund, strecken die Zunge heraus und machen den Löwen!«
    »Huaaa!« Beinahe erschrak ich vor mir selbst. Wenn ich bei dieser lautstarken Übung bisher eher wie ein höfliches Großkatzenbaby geklungen hatte, dann hatte ich jetzt endlich

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