Mantramänner
Energieverschwendung. Wenn auch nur feinstoffliche.
»Jetz denk’ ma uns jemand, dem unsere Liebe gilt.«
Schon besser.
»Des kann a Mensch sein. Aber auch a Tier. Oder a Pflanze.«
Eine Pflanze?
Ich dachte an meinen traurigen Ficus, der immer so verzweifelt seine Blätter von sich warf. Licht und Liebe. Wahrscheinlich war es genau das, was ihm fehlte. Ich sollte ihn an einen sonnigeren Platz stellen und mehr mit ihm reden.
»Vielleicht denkt’s ihr an einen Menschen, der euch in letzter Zeit nahg’standn hat. Dann stellt’s ihr euch vor, dass sich mit eurem Ausatmen a Dusche aus Licht über ihn ergießt.«
Das war nicht schwer. Ich dachte an Melli, so wie sie vor mir saß, in ihrer brav geschnürten Hose, an die Begeisterung in ihrem Blick. Das hatte sie verdient, ihre kleine Schwärmerei für ihren Yogalehrer. Auch wenn sie Steve niemals hintergangen hätte.
Außerdem konnte mir das nur recht sein.
Ich stellte mir vor, wie sie auf meinem vernachlässigten Sofa saß und ein Sternenregen auf sie herabfiel, so wie im Kinderzeichentrickfilm. Kleine, glitzernde Britzelpünktchen, die beim Aufkommen
wie Brausebonbons auf der Haut prickelten. Stand ihr gut.
»Und jetzt macht’s amal genau des Gegenteil und stellt’s euch an Menschen vor, mit dem ihr euch in letzter Zeit ned so gut verstandn habt’s.«
Ich hätte gern noch darüber nachgedacht, aber mein Unbewusstes hatte schon für mich übernommen. Wenn das meine Mutter gewusst hätte. Jetzt saß jedenfalls plötzlich Frau Stöver auf meinem Sofa, ihren imposanten Busen unter einem Kunstfaserhäkelpulli eingequetscht, die Beine eng aneinandergestellt. Im Schoß hielt sie eine altmodische Handtasche und knetete den Lederhenkel. Sie sah nicht besonders glücklich aus. Eher angespannt, so, als wüsste sie nicht recht, wie sie in meine Gedanken kam, was ihr feinstofflicher Körper auf meinem Sofa tat und ob sie sich vorsichtshalber nach Fluchtwegen umsehen sollte. Wahrscheinlich ging es ihr wie mir, wenn ich mal wieder widerwillig auf einer Kabarettbühne gelandet war. Und vielleicht war es ihr ja auch nachträglich ein bisschen unangenehm, wie sie mich in meiner Lehrzeit schikaniert hatte.
Zögernd stellte ich die Lichtdusche an. Vielleicht entspannte das die Situation. Langsam begannen einzelne Sternchen zu tröpfeln. Augenblicklich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, fast, als zwinkerte sie mir kumpelhaft zu. So wie neulich auf dem Flur, am Montag nach der Firmenparty. Vielleicht war sie gar nicht so abgrundtief gemein. Sondern einfach nur unsicher. Oder frustriert, weil sie nie zum Tanzen kam außer auf der Sunny-Side-Fete. Und weil sie genau wusste, dass sie ein paar Tage später Kantinengespräch Nummer eins sein würde, so albern, wie es aussah, wenn sie ihre Masse in Bewegung setzte.
So hatte ich noch nie über Frau Stöver gedacht.
Ich drehte weiter auf. Jetzt prasselten die Sternchen auf sie hernieder wie aus einer gigantischen Silvesterwunderkerze. Frau Stöver blickte ein wenig verdutzt, dann stellte sie mit einer unerwartet eleganten Bewegung die spießige Handtasche zur Seite, erhob sich, strich den Rock glatt und begann, sich zu einer unhörbaren Musik zu bewegen. Erst mit kleinen, zögerlichen Schritten, dann immer raumgreifender.
Sie sah aus wie eine Frau, die richtig Spaß hatte, bis in jede Zelle ihres Körpers. Und das wollte etwas heißen, es waren ja schließlich viele, viele Zellen.
»Und jetzt macht’s euren Kopf ganz leer. Wenn Gedankn kommen, schaut’s sie an und schickt’s sie einfach weg.«
Schade. Gerade jetzt, wo es spannend wurde. Zu gern hätte ich Frau Stöver noch ein bisschen beim Tanzen zugeschaut. Wer weiß, auf welche Ideen sie noch gekommen wäre. Jetzt würde ich wahrscheinlich wieder Berufsschulgestrüpp zu sehen bekommen, so wie ich meine Meditationstechnik einschätzte.
»Ihr könnt’s euch beim Ausatmen gern ein persönliches Mantra denken.«
Ich blinzelte. Gern hätte ich gefragt, was die anderen so nahmen. Wie in einem exotischen Spezialitätenrestaurant, in dem man ratlos vor der Karte saß. Aber eine Frau mit geschlossenen Augen anzutippen hätte mit Sicherheit gegen sämtliche Yogaetikette verstoßen.
Om? Zu gewöhnlich. Der Ford Fiesta unter den Mantras.
Na ja, na ja? Ich war ja nicht einmal sicher, wie das richtig ging. Dann kam mir wieder derjenige in den Sinn, mit dem alles angefangen hatte. Ohne den ich wohl kaum meinen Samstagabend auf einem kratzigen Teppichboden verbracht hätte. Auf
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