Mantramänner
wieder.
»Freut mich«, sagte sie und ruckelte ein bisschen auf der Sitzbank neben Melli hin und her. Dann zuppelte sie wie absichtslos an ihrem Shirt und machte ein Hohlkreuz. Jetzt war ihr Nabel vollständig zu sehen.
PADA HASTASANA
Die stehende Vorwärtsbeuge (Pada Hastasana) führt zu Demut und Hingabe an das Göttliche. Sie ist eine Verneigung vor den wohlmeinenden Kräften des Universums.
Vor dem Shiva-Raum standen die Hasen-Hausschuhe und die bunten Crocs dicht gedrängt bis auf die Treppenstufen, drinnen kauerten ebenfalls dicht gedrängt Leute auf blauen und lila Meditationskissen. Vorn, auf einer Art Bühne, die mit den Bildern von indischen Göttern dekoriert war, saß ein Mann in einem orangefarbenen Gewand. Er hatte dichtes schwarzes Haar und dunkle Augen, er sah sehr indisch aus. Vor ihm stand eine winzige Hammondorgel, auf der er eine monotone Folge spielte. Dazu sangen sie alle gemeinsam etwas, das so ähnlich klang wie: »Na ja, na ja«.
Hinter dem Orgelspieler gab eine riesige Panoramascheibe den Blick auf die Landstraße, das Feld und das soziale Problemviertel der nächsten Kleinstadt frei. Ein Traktor mit einem Heuanhänger röchelte vorbei, dann passierte lange nichts.
Saturday Night Life.
Ich schnappte mir ein lila Kissen, Melli, Nadine und Anna folgten mir. Dann setzte ich mich ganz nach hinten. Mit Männern auf Bühnen hatte ich nämlich keine gute Erfahrung gemacht. Wenn ich zu weit vorn Platz nahm, wurde ich aus irgendeinem Grund regelmäßig zum Mitspielen aufgefordert. Mindestens fünf Kabarettisten hatten mich allein in den letzten ein, zwei Jahren als Hutablage, lebendes Kuss-Übungsobjekt oder Spontantheatermitspielerin gecastet, und
beim Männerstrip zu Nadines vorletztem Geburtstag hatte ich mich von einem verschwitzten Bodybuilder antanzen lassen müssen. Hinterher wurde mir immer allseits versichert, ich sei der Höhepunkt des Abends gewesen. Das würde mir hier nicht passieren.
Am Ende würde mich der Mann in Orange noch vorsingen lassen! Schließlich konnte er ja nichts von Frau Rosenkötter und meinem lebenslangen Gesangsverbot wissen.
Ich blickte mich um. Immerhin verstanden meine Freundinnen auch nicht, was der Chor da von sich gab. Melli hatte die Augen geschlossen und saß in einem ganz passablen Lotossitz, die beiden anderen mummelten sich in ihre Decken und blickten angestrengt zu Boden.
»Entschuldigung«, ich tippte die Frau neben mir an und flüsterte ihr ins Ohr, »was singt ihr da genau?«
»Das ist das Mantra für den Weltfrieden«, wisperte sie zurück, »es bringt Lichtenergie ins Universum.«
Der Mann in Orange hatte sich erhoben, faltete seine Hände auf eine Weise, wie man es von katholischen Heiligenbildern kannte, legte die Fingerspitzen erst an die Stirn, dann an sein Herz. »Om«, sang er, »Shanti, Shanti. Frieden, Frieden.«
Dann war es still. Decken raschelten, Gelenke knackten. Ich sah mich unauffällig um und entdeckte Sivs glänzenden Schädel schließlich in der ersten Reihe, direkt vor dem Altar. Melli hatte die Augen noch immer geschlossen.
Draußen vor dem großen Panoramafenster senkte sich allmählich die Nacht über die friesischen Felder. Zwei Autos jagten sich mit Lichthupe über die Landstraße. Dumpf wummerten die Bässe darin, wurden dann leiser. Der Mann in Orange begann zu sprechen.
»Mei«, sagte er.
War das jetzt auch wieder ein Mantra? Ein gesprochenes?
Die Gruppe schwieg.
»Mei, is des schee, dass ihr alle kommen seid’s. Für alle, wo mich noch ned kennen, i bin der Satya.«
Kein Inder. Ein Bayer. Ein Bayer im niedersächsischen Ashram. Die Globalisierung machte aber auch vor gar nichts mehr halt.
»Mir setzn uns jetz alle miteinand in einen kreuzbeinigen Sitz, schließen die Augen und beginnen mit unserer angeleiteten Meditation. «
Ich faltete folgsam meine Beine.
»Mir konzentriern uns jetz erst amal auf unsern Atem. Beim Einatmen denk’ ma uns: I bin voller Energie. Beim Ausatmen denk’ ma uns: I geb Licht und Liebe.«
Immerhin durften wir jetzt beide Nasenlöcher benutzen. Das war einfacher als die Darth-Vader-Atemübung.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Die Luft fühlte sich kühl an, wenn ich sie einsog, und warm, wenn sie wieder ausströmte. Hatte ich noch nie so bemerkt. Licht und Liebe, das war hübsch. Aber brauchte es dafür nicht auch ein Gegenüber? Ich wollte meine Liebe doch nicht einfach so in die Atmosphäre blasen, ohne dass jemand etwas davon hatte. Schließlich war das
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