Mantramänner
Kante seines Schreibtisches.
»Und was genau, sagten Sie, haben Sie jetzt vor?«
»Ich dachte, unsere Briefe sollten einen anderen Ton bekommen. Verständnisvoller, verbindlicher. Achtsamer.«
»Hervorragend!« Berger war begeistert. »Und so etwas lernt man alles im Yoga?«
Ich nickte würdevoll. »Die meisten Leute denken bei dem Wort ja nur an Körperübungen«, sagte ich, »aber das ist lediglich einer von mehreren Wegen.«
»Aber nur ohne Anerkennung einer Rechtspflicht!«
»Bitte?«
»Das muss unbedingt rein. Mit der Rechtspflicht und der Kulanz. Sonst können Sie schreiben, was Sie wollen.«
Om Shanti. Das war ja noch mal gut gegangen. Mehr als das: Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, hatte ich meinen Chef beeindruckt.
»Ach, sagen Sie, Frau Frank?«
Ich hatte mich gerade hinsetzen wollen. Jetzt schwebte mein Po ein paar Zentimeter über dem Drehstuhl.
»Sagen Sie mal, diese ganzen verdrehten Stellungen – können Sie die etwa auch?«
Ich stand wieder auf. »Sicher«, sagte ich im Brustton der Überzeugung. Sollte Berger mich ruhig für eine Expertin halten.
»Ach«, sagte er, »das ist faszinierend. Faszinierend. Da arbeitet man jahrelang so nebeneinander her und weiß überhaupt nicht, was eigentlich in den eigenen Mitarbeitern steckt. Sagen Sie mal – können Sie mir da vielleicht mal eben etwas zeigen?«
Ich wusste es. Früher oder später musste es nach hinten losgehen. Jetzt erwartete er irgendeine komplizierte Körperverdrehung von mir. Und das, wo ich im Stand noch nicht einmal mit den Fingerspitzen meine Zehen berühren konnte.
Der Drehsitz! Das war’s! Nicht schwierig, aber machte was her.
Ich legte meine Fingerspitzen aneinander und verneigte mich nach allen Richtungen. Das war schon mal ein guter Anfang und sah sehr
echt aus. Dann ließ ich mich im halben Lotossitz auf dem Boden nieder und dankte dem Modegott, dass er die Leggings nicht nur erfunden, sondern auch für bürotauglich erklärt hatte. Im Businesskostüm wäre das schon etwas schwieriger geworden. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Das rechte Bein anwinkeln und über das linke stellen, bis die rechte Ferse den linken Oberschenkel berührte. So weit alles klar.
Aber wie ging es dann weiter? Auf einmal war ich verunsichert. Das hatte ich nun davon. Hätte ich mal lieber besser aufgepasst, statt während der Stunden am Wochenende darüber nachzudenken, wie Sivs Haut unter dem Buddha-Sweatshirt weiterging! Musste ich nun den rechten oder den linken Arm gegen das Knie bringen?
Ein warmer Wurstbrothauch streifte meine Wange. Auch das noch. Jetzt hatte sich der Kerl doch tatsächlich über mich gebeugt, wahrscheinlich, um besser zu sehen.
Mit einem dumpfen Knall flog die Bürotür gegen den Gummistopper. Ich öffnete die Augen und sah violette Karos.
»Oh«, entfuhr es Frau Stöver, »wie ich sehe, störe ich Sie bei – also, ich störe Sie bei was.«
Berger erhob sich. »O nein, liebe Frau Stöver«, sagte er galant, »das ist rein beruflich. Management by Yoga, schon mal gehört?«
»Yoga? Was glauben Sie denn?«, gab Frau Stöver leicht beleidigt zurück. »Ohne Yoga wäre Jennifer Aniston doch bis heute nicht über Brad Pitt hinweggekommen.«
»Glauben Sie denn, sie ist wirklich darüber hinweg?«, fragte ich interessiert zurück.
Frau Stöver wiegte nachdenklich den Kopf. »Manchmal frage ich mich das auch«, sagte sie, »vor allem die biologische Uhr, die tickt doch schon sehr laut. Und wenn sie dann zuschauen muss, wie Angelina ein Baby nach dem anderen …«
Zack! Jetzt wusste ich es wieder! Der linke Arm und die linke Schulter gehörten nach vorn. Schon saß ich im perfekten Drehsitz und lächelte Herrn Berger und Frau Stöver so bezaubernd an, als wäre ich ein ausgeschlafenes Kleinkind und die beiden meine liebenden Eltern.
»Fantastisch!«, freute sich Herr Berger. »Und es sieht so leicht aus. Würden Sie sich denn eventuell auch zutrauen, selbst Unterricht zu geben? In einem kleineren Kreis?«
Ich dachte wieder an die russische Yogalehrerin aus Werderhorst. Die hatte auch keinen Kopfstand gekonnt, und keiner hatte sich beschwert. Was für ein kleiner Kreis? Egal. Erst mal weiter mit der Flucht nach vorn.
»Sicher«, sagte ich, »im Yoga geht es ja nicht um Perfektion. Sondern darum, dass jeder seine eigenen Grenzen erkennt und sich im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten weiterentwickelt.«
»Wissen Sie was, Frau Frank?« Herr Berger nickte sich selbst bekräftigend zu. »Ich
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