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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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wieder so sauertöpfisch-philosophisch.
    »Also keine Erde unter den Fingernägeln«, schloss ich. Buddha nickte und stieß einen kleinen Seufzer aus, der uralt klang und von weit her zu kommen schien.
    Ich wäre gern unbemerkt ins »Delhi Deli« eingetreten und hätte erst einmal von der Tür aus geschaut, ob Siv schon da war. Zwar war ich zehn Anstandsminuten zu spät, aber das Buddhamobil hatte ich draußen nirgends gesehen. Und ich hasste es, allein in einem Lokal auf einen Mann zu warten. Dieses Kaninchen-vor-der-Schlange-Gefühl, als würden einen alle anstarren und sich fragen, was diese Frau wohl falsch gemacht hatte, dass der Kerl sie versetzte.
    Doch ich hatte meine Rechnung ohne die Tempelglöckchen an der Tür gemacht. Sie läuteten beim Eintreten so aufdringlich, dass alle ihre Köpfe drehten bis auf den Imbiss-Inder mit den undurchdringlichen Augen. Er stand auf die gleiche Weise hinter der Theke wie bei meinem letzten Besuch mit Anna. Man hätte meinen können, dass er auch immer noch dasselbe Glas putzte. Langsam fragte ich mich, ob er echt war. Möglicherweise musste man ihn morgens aufziehen.
    Der Moment der Peinlichkeit dauerte aber nicht lang. Siv war tatsächlich schon da und rührte mit einem langen Löffel in einer Lache auf dem Grund seines Chaiglases. Er saß genau unter dem 1997er-Kalender mit dem Bild des elefantenköpfigen Gottes und bildete schon wieder einen äußerst reizvollen Kontrast dazu. Langsam fragte ich mich, ob das nicht doch eine Masche war. Ob er sich bewusst in Szene setzte. Genau so, wie sein makelloses Gesicht vor dem Hintergrund eines abgerockten Beachclubs noch besser zur Geltung kam.
    »Siv!«, ich stolperte auf ihn zu und zupfte an meiner Bluse. »Wirklich schön, dich hier zu treffen! Mir ist so richtig nach einem heißen Chai.«
    Das war glatt gelogen. Draußen spielten Schäfchenwolken am Himmel fangen, pummelige Teenager führten ihre Victoria-Beckham-Sonnenbrillen
und ihre frisch enthaarten Beine aus, und in meinem früheren Leben hätte ich mit Sicherheit schon die zweite Iced Latte des Tages spazieren getragen. Aber ich wollte nichts sagen, das die Atmosphäre zwischen Siv und mir verdorben hätte. Wir würden hier sitzen, Chai trinken, vom Beruflichen aufs Private kommen und dann aufs noch Privatere. Nach der dritten Runde konnten wir ja vielleicht in ein nettes Gartenlokal wechseln, es gab hier gleich in der Nähe diesen romantischen Hinterhof-Mexikaner. Der Beginn einer lauschigen Frühsommernacht.
    Siv lachte. »Du hast wirklich einen schönen Sinn für Ironie! Und völlig recht, es ist eigentlich nicht das Wetter für heiße Getränke! Lass uns lieber ein bisschen spazieren gehen, in den Park.«
    »In den Park?« Ich sah ihn entsetzt an. »Aber da gibt es doch gar nichts!«
    »Wie meinst du, da gibt es nichts?«
    »Na, zu trinken«, stotterte ich. »Die haben nicht mal einen Kiosk.«
    Er betrachtete mich amüsiert. »Komisch«, sagte er, »ich dachte, du wärst mehr so der naturverbundene Typ.«
    Spaziergänge. Das letzte Date, bei dem ich spazieren gegangen war, war im Erscheinungsjahr des Elefantenkalenders gewesen. Mit Mirko Hansen aus der 11 b, in den ich monatelang heimlich verliebt gewesen war, ohne dass er sich auch nur meinen Vornamen merken konnte. Wenn er überhaupt mit mir sprach, nannte er mich Wiebke statt Evke. Eines Tages hatte er mir im Stadtpark ein Eis ausgegeben und mich später mit dem Bindegürtel meines Sommerkleides an einen Strauch geknotet, weil er das plötzlich für eine lustige Idee hielt. So war es dann weitergegangen. Monatelang hatte er sich nicht entscheiden können, ob er mich toll fand oder bescheuert. Irgendwann beruhte das Gefühl auf Gegenseitigkeit. Drei Tage später war Schluss.
    »Spazieren gehen«, flötete ich, »das ist … na, mal wirklich etwas anderes. Da ist man so nah dran an den Dingen.«
    Der Inder hinter der Theke wackelte mit den Schultern. Vielleicht lachte er, ich war aber nicht ganz sicher. Vielleicht waren es auch die letzten Zuckungen, bevor man ihn wieder aufziehen musste.
    »Sie«, fragte ich, »haben Sie auch Chai to go?«

    Die gute Nachricht: Es gab Chai to go. Sogar mit Milchschaum. Die schlechte: Ich musste ihn in einem Becher tragen, wie sie aus Kaffeeautomaten an ganz schlechten Autobahnraststätten kommen. Abwechselnd löste ich Daumen, Zeige- und Mittelfinger vom heißen Plastik, wenn der Schmerz unerträglich wurde. Ich hatte nur die Wahl, mir entweder die Hand zu verbrennen oder die

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