Mantramänner
gebrochen hatte. Auch wenn er scheinbar nicht registrierte, wie es meiner eigenen Energiebilanz gerade ging.
Hatte er überhaupt mitbekommen, was er da getan hatte? Dieser seltsame Beinahekuss, der sich dann als Nullnummer entpuppt hatte? Vielleicht funkten Yogis auf einer völlig anderen Frequenz als andere Menschen. Auf dem Workshop in Werderhorst war ich absolut überzeugt gewesen, dass Siv mich angeflirtet hatte. Und dass es nur einen Schritt von mir brauchte, eine kleine Einladung, um mehr daraus zu machen. Aber scheinbar hatte ich mich getäuscht. Vielleicht war es eher so eine keusche, allgemeine Zuneigung für sämtliche Kreaturen. Menschen, Tiere, Pflanzen.
Eine Weile liefen wir stumm, während es in meinem Kopf eher nach Sturmflut auf Hallig Hooge aussah als nach Sonnenuntergang am Strand von Goa. Dann näherte sich seine Hand wieder und landete auf meiner Schulter. Durch den Stoff meiner Bluse hindurch drückte er mich sanft. Vielleicht bildete ich es mir ein, aber der Druck war anders als der vorher. Eine Nuance weniger väterlich.
Ich schöpfte wieder Hoffnung.
»Ich hoffe, du nimmst mir das nicht krumm«, sagte er, »ich wollte dich nicht belehren. Natürlich kannst du mir alles erzählen, was du möchtest. Wenn das so für dich stimmt.«
Wieder seufzte ich. Diesmal nicht mehr vor Hitzeschock. Was für ein sensibler Mann.
»Also, wenn du mich noch etwas fragen möchtest …«
»Wie heißt du denn eigentlich wirklich?«
Wieder mal so eine Frage, die irgendwo in meiner Mundhöhle herumgelegen haben musste und einfach so herausgepurzelt war.
»Wirklich?«
Siv sprach das Wort überdeutlich aus, als hätte er es noch nie gehört und müsste es in einem Sprachkurs wiederholen. »Wie meinst du das, wirklich? Meinst du den Namen, den meine Eltern mir einmal gegeben haben, vor langer Zeit? Denn wenn du mich nach meinem wirklichen Namen fragst, ist die Antwort ganz leicht. Den kennst du schon.«
»Siv?«, fragte ich lahm.
»Sivananda«, echote er.
»Und hast du dir das selbst ausgesucht?«, fragte ich weiter.
Er schüttelte den Kopf und lächelte unergründlich. Dabei sah er sehr sexy aus. Ein Mann mit Geheimnissen. Allmählich begann ich zu verstehen, was Männer an schweigsamen Frauen fanden.
»Das passiert, wenn man sich weihen lässt«, erklärte er schließlich. »Man sucht sich sein persönliches Mantra aus und einen persönlichen Schutzpatron aus der hinduistischen Götterwelt. Aber den Namen, den gibt einem der Lehrer.«
»Man hat einen persönlichen Gott?«
»Die Hindugötter stehen alle für verschiedene Aspekte des einen, Göttlichen. Du bist zum Beispiel eher so der Ganesh-Typ«, sagte er.
Der Ganesh-Typ. Wie kam er denn da drauf? Unauffällig blickte ich an meinen Hosenbeinen herunter. Die Jeans waren wohl doch nicht so vorteilhaft, wie ich vorhin gedacht hatte.
»Der Elefant?«
»Genau. Ganesh, der elefantenköpfige Gott, der mit seiner Kraft einen Weg durch den Dschungel bahnt. Er steht für die Energie des Neubeginns.«
Na dann. Dann war das wohl so eine Art Kompliment.
»Andere Götter stehen für die Kraft der Erhaltung, der Veränderung, der Kreativität«, erklärte er weiter. »Ich selbst fühle mich besonders mit Shiva verbunden. Seiner Leichtigkeit, Dinge immer wieder aufzulösen und neu zu denken.«
Wir waren wieder am Ausgang des Parks angekommen, und Siv
blickte auf die Uhr. »Gut«, sagte er, »ich muss dann mal los. Sehen wir uns beim Sommerfest?«
»Sommerfest?«
»Mittwochabend, in der Buddha Lounge. Gibt ein leckeres veganes Büfett und Mantra-Dance für alle. Ich würde mich freuen!«
Wieder dieser Blick wie ein südindischer Sonnenuntergang.
Und dann legte er auch noch seine Hand an meinen Hosenbund.
Was wurde das denn?
Er strich über den Stoff meiner topmodischen Denim-Röhre, dann schnalzte er mitfühlend mit der Zunge.
»Und tu mir einen Gefallen«, sagte er leise, »nicht mehr diese Hosen. Ich kann fast körperlich spüren, wie sie deine Energie blockieren. Und du hast jede Menge Energie, das weißt du ja.«
Bei den letzten Worten waren wir wieder auf der Grillwiese angekommen. Die Familie stritt noch immer. »Ich hab die in echt nicht«, schrie der Junge. »Ich schwör!« Noch einmal spürte ich den leichten Druck auf der Schulter, dann hob Siv grüßend die Hand. »Namaste«, sagte er, »schön, dass wir so offen gesprochen haben.«
Schließlich wandte er sich ab und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Während ich noch dastand und
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