Mantramänner
sah ich die Tür
im Lattenzaun, halb verborgen unter der Konzertankündigung einer Death-Metal-Band. War ich also doch richtig.
Ich parkte das Auto, richtete im Innenspiegel noch einmal meinen Turban und schnallte mich ab. Dann klemmte ich meine Matte unter den Arm und machte mich auf den Weg. Das mit dem tiefen Ein- und Ausatmen ließ ich lieber sein. Der Bürgersteig hier schien ein beliebter Hundetreffpunkt zu sein, mit allen Hinterlassenschaften, die dazugehörten. Ich öffnete die Tür im Lattenzaun und trat ein.
Keine Frage: Es war ein Beachclub. Wenigstens, wenn man eine sehr simple Definition zugrunde legte: Beach ist, wo Sand ist. Ein paar Liegestühle mit Rum-Werbung standen herum, weiter hinten eine Bar, die aussah, als hätte man sie aus einem ausrangierten Transportcontainer ausgesägt. Dann kam schon der Bahndamm. Gerade ratterte lautstark ein Vorortzug vorbei und übertönte die sphärische Musik, die aus einem Ghettoblaster kam.
Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es um Yoga ging, hätte mich die Szene vor meinen Augen eher an einen Massenselbstmord erinnert. Etwa zwanzig Leute lagen in einem Kreis rücklings auf Matten im schmuddeligen Sand, die Arme seitlich ausgebreitet, die Handflächen zum Himmel erhoben, und schwiegen. An der Bar saß ein einsamer Mann mit schweißfleckigem Hemd und Schnauzbart und starrte in eine Kaffeetasse. Der gehörte offensichtlich nicht dazu.
Gerade breitete ich meine Matte in einer Lücke aus, da hörte ich Schritte im weichen Sand. Dann stand Siv vor mir. Er trug ebenfalls Weiß, sein rasierter Schädel glänzte, als hätte er eine Flasche Möbelpolitur darauf verteilt. Einen Moment lang fragte ich mich, ob er die schäbige Umgebung extra ausgewählt hatte, um noch besser zur Geltung zu kommen. Dann schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Wie konnte ich einem derart spirituellen Menschen einen so oberflächlichen Gedanken unterstellen?
»Hey!«, ich hob enthusiastisch die Arme, dann ließ ich sie blitzschnell wieder sinken. Eine Umarmung zur Begrüßung, das war dann vielleicht doch etwas zu viel des Guten. Oder doch nicht? Immerhin hatte er mir das Leben gerettet. Das verband zwei Menschen eigentlich aufs Kosmischste. Fand ich.
Er musterte mich aus undurchdringlichen Augen, schließlich hob er wie in Zeitlupe die Hand und ließ sie ebenso wieder sinken. »Oh«, sagte er schließlich, »ein neues Gesicht.«
»Ich bin’s doch«, stammelte ich verwirrt, »vom Wochenende im Ashram. Übrigens, ich heiße Evke.«
Er lächelte auf eine mildtätige Weise, wie eine Mischung aus Heiligenbild und Buddhastatue. Irgendetwas lief hier ganz und gar nicht nach Plan.
»Ja«, sagte er väterlich, »Evke.«
»Evke«, versuchte ich es noch einmal, »die mit dem Rasenmäher.«
Endlich kam Leben in sein Gesicht. »Ach so!«, sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, »sag das doch gleich! Die Wurzelmörderin! «
»Äh, ja. Genau die. Und jetzt wollte ich mir mal deine Stunde anschauen. Weißt du, wir sind ja jetzt fast so etwas wie Kollegen. Ich habe nämlich vor ein paar Tagen bei mir im Büro, also in der Abteilung …«
»Evke?«
»Ja?«
»Wenn möglich, schweigen wir vor Beginn der Yogastunde. Das hilft, die Energie der Nacht zu kanalisieren.«
»Gmpf.«
»Und das Handtuch solltest du von deinem Kopf nehmen. Das verlagert deinen Körperschwerpunkt ungünstig.«
Betreten nestelte ich mit einer Hand an meinem Turban. Die ersten Teilnehmer hatten sich bereits umgedreht, eine Frau beäugte mich verächtlich. Wieder alles falsch gemacht.
Siv begann seine Stunde mit Singen und Atemübungen. Langsam kam mir das alles doch recht vertraut vor. Er sprach tatsächlich kaum, aber selbst wenn er es getan hätte, wäre das kein Unterschied gewesen. Dazu waren die vorbeifahrenden Züge doch deutlich zu laut.
Wir waren gerade bei der Kobra angelangt, da öffnete sich wieder die Tür im Lattenzaun. Ich wunderte mich schon, wer außer ein paar Yoga-Jüngern so früh am Morgen in einen Beachclub kam, da hörte ich es schon, bevor ich es sah. Mütter mit ihren Babys. Die waren
wahrscheinlich seit fünf Uhr morgens wach und trafen sich hier zum zweiten Frühstück.
Nur wenige Meter neben uns ließen sie sich auf Isomatten nieder, packten erst Beißringe und Quietschtiere aus und dann wie auf Kommando ihre Brüste. Hatte ich also doch recht gehabt mit dem zweiten Frühstück. Für die Babys. Nicht für die Mütter.
»Habt ihr jetzt auch mit der Beikost angefangen?«, hörte
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