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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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ihn noch eine Stunde bummeln schicken, während ich mit IPS etwas trinken ging?
    Aber irgendetwas stimmte hier nicht. Und beim Näherkommen erkannte ich auch, was es war.
    Er blickte gar nicht zu mir. Und er winkte auch nicht mir. Er winkte jemand anderem. Einer Person, die sich ganz in meiner Nähe befinden musste.
    Ich sah mich um. Da stand IPS, die ebenfalls winkte. Bloß nicht freudig und aufgeregt, sondern mit einem deutlichen Panik-P, das ihr mitten ins Gesicht geschrieben stand. Sie fuchtelte auf eine Art mit den Händen, die etwas hieß wie: Nein! Komm bloß nicht näher! Sonst geschieht ein Unglück!
    Mein Vater blieb verdutzt stehen und wandte den Kopf. Dann endlich sah er mich. Jetzt schaute er genauso bestürzt drein wie IPS.
    Einen Moment lang verstand ich nur Bahnhof. Oder Ong namo narayanaya. Das Mantra für den Weltfrieden. Im nächsten Moment schon wünschte ich mir den Moment von gerade eben zurück, den Moment der seligen Unwissenheit. Denn da verstand ich plötzlich alles. Und alles war überhaupt nicht schön.
    Die Neuigkeiten, von denen er geschrieben hatte.
    Die Bekannte meiner Mutter, die meinen Vater mit einer deutlich jüngeren Frau gesehen hatte.
    Selbst wenn ich mein ganzes Leben lang Mountainbike gefahren wäre, statt Yoga zu machen, hier war kein Missverständnis möglich. Dazu musste man nicht sonderlich empfänglich sein für spirituelle
Morsezeichen. Ich wusste, was IPS mir hatte gestehen wollen. Und was das für eine Hütte war, in der sie an jenem Wochenende gewesen war, als Anna ihre Party gab. Es war das Wochenendhaus meiner Kindheit.
    Und das da, in diesem riesigen Neunmonatsbauch direkt neben mir, war mein Halbbruder oder meine Halbschwester.
    Mein Vater wurde Vater.

PARVATASANA
    Die Bergstellung (Parvatasana) macht entschlossen und mutig.

    Es gibt diese Augenblicke im Leben, da gibt es nur einen Trost. Es kann nicht noch schlimmer kommen.
    Mein Trost währte nur kurz.
    Es kam schlimmer.
    Dort auf dem Parkplatz hatte ich meinen Vater und IPS einfach wortlos stehen lassen. Und sie waren wohl so geschockt gewesen, dass keiner von ihnen mich zurückgehalten hatte.
    Auf dem Heimweg war es vor allem ein völlig nebensächlicher Gedanke, der mich beschäftigte: Durfte ich sie überhaupt noch IPS nennen oder von nun an nur noch Ilona? Schließlich war sie jetzt so etwas wie meine – ja, was eigentlich?
    Meine Stiefmutter?
    Eine Frau, die höchstens zwei Jahre älter war als ich?
    Wenn das hier ein Märchen war, dann wollte ich lieber auf der Stelle vom bösen Wolf gefressen werden.
    Schon im Treppenhaus konnte ich hören, wie das Telefon hinter meiner Wohnungstür klingelte. Sicher mein Vater, der mir alles erklären wollte. Wenn er dieses Gespräch mit den Worten »Es ist nicht so, wie du denkst« beginnen würde, ich würde einfach auflegen.
    Betont langsam betrat ich meine Wohnung, obwohl mir das Herz bis zum Hals klopfte. Mittlerweile war der Anrufbeantworter angesprungen, und der lang gezogene Piepton ertönte.
    »Geh ran. Ich bin’s.«

    Melli. Was war denn da schon wieder los? Ihre Stimme klang seltsam belegt. So, als hätte sie geweint. »Evke«, ich hörte sie lautstark ein- und ausatmen, »ich habe deine Mail bekommen.«
    Meine Mail? Hatte ich Melli heute gemailt? Ich konnte mich nicht erinnern. Aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Schließlich war in der Zwischenzeit ein mittelgroßer Meteorit in meinem Leben abgestürzt. Da konnte es schon einmal zu gedanklichen Ausfällen kommen.
    Ich ging zum Schreibtisch und riss das Mobilteil aus der Ladestation. »Melli? Was ist los? Ist alles in Ordnung bei dir?«
    In der Leitung war es still.
    »In Ordnung?«, sagte sie schließlich kaum hörbar. »Das fragst du mich? Nach dem, was du mir da geschrieben hast?«
    Zuerst verstand ich nur Ong namo narayanaya. Wurde ja langsam zur Manie.
    Und dann passierte es mir zum zweiten Mal innerhalb von zwei Stunden, dass der Boden unter mir plötzlich tiefer sackte, so wie in einem der Fahrgeschäfte auf dem Rummel, die wir als Kinder so geliebt hatten. Nur ohne den wohligen Kitzel, der damals damit verbunden war.
    Nein. Das durfte nicht sein. Das konnte einfach nicht auch noch passieren.
    »Ist ja ganz erhellend, was du so über mich schreibst, wenn du mit Nadine mailst. Ich hoffe nur, ich bekomme auch die Antwort zu lesen.«
    Ogottobuddhaojesusoshivaovishnu. Oder welcher von den Hindugöttern war noch mal der Weltzerstörer? Egal, ab heute musste man ihn sowieso umbenennen.
    In Evke

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