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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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ein blaues Wickelshirt.
    Eine Zeit lang hatte sie den handelsüblichen, dickbäuchigen Buddhastatuen sehr ähnlich gesehen, jetzt war es vorbei damit. Die Buddhas waren nämlich fast ausnahmslos schlanker. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass IPS hier herauskam, am besten, ich brachte sie nach unserer Verabredung umgehend in den Kreißsaal.
    Während sie sich umzog, den Rücken mir zugewandt, redete sie mit einer Kollegin. »Und weißt du schon, wo du entbindest?«, fragte die Frau gerade.
    »Klinikum Südstadt«, antwortete IPS, »die haben ein ganz neues farbpsychologisches Konzept, das den Neugeborenen den Übergang in die Welt erleichtern soll. Der Kreißsaal ist exakt in der Farbe gestrichen, die Ungeborene um sich herum wahrnehmen, wenn sie die Augen öffnen. So ein warmes Rot.«
    »Und dein Mann, wird der …«
    »Mein Lebensgefährte ist selbstverständlich dabei. Ganz niedlich, wie aufgeregt die Männer am Ende der Schwangerschaft werden. Neulich im Geburtsvorbereitungskurs hat er sogar ein Tränchen verdrückt, als die Hebamme Fotos von wenigen Stunden alten Neugeborenen gezeigt hat.«
    »Ja, das ist wirklich eine neue Vätergeneration. Wenn ich da an unsere eigene Kindheit denke …«
    Ich stand noch immer im Eingang, ein wenig unschlüssig, und lauschte dem Gespräch mit einer Mischung widersprüchlicher Gefühle. Meine neue Yogaseele quoll über vor Ergriffenheit über diesen tiefen, gewaltigen Akt der Natur. Geburt. Sich dem Leben zu öffnen wie die Lotosblüte dem Licht.
    Meine alte Evke-Seele stänkerte abwechselnd (»Berufsschwangerschaft! Das gehört verboten!«) und jieperte neidisch wie ein junger Hund, der am Tisch bettelt (»Baby! Mann! Auch haben will!«).
    Schließlich ging ich auf IPS zu und tippte ihr auf die Schulter.
    »Hi, Ilona«, sagte ich, »wollen wir dann gleich los?«
    Sie fuhr herum, und ich hätte schwören können, dass da ein Anflug von Panik in ihrem Gesicht war. Wo kam denn der her?

    »Evke«, stotterte sie, »du … was machst denn … also, mit dir hätte ich jetzt gar nicht gerechnet.«
    »Falls du es nicht mitbekommen hast, ich habe gerade die Stunde geleitet!«
    »Ja, schon. Aber dass du schon so schnell hier bist …«
    Wie ertappt griff sie nach ihrer Handtasche, und ich schüttelte innerlich den Kopf. So war das also mit der Schwangerschaftsdemenz.
    Schweigend verließen wir die Kantine und gingen den Gang entlang.
    »Was ist es denn, was du noch so dringend mit mir besprechen willst?«, fragte ich, doch IPS wehrte ab.
    »Nicht hier«, sagte sie, »am besten, wir gehen an einen neutralen Ort.«
    So langsam wurde mir die Sache unheimlich.
    Wir liefen die Treppe hinunter und schließlich am Empfang vorbei. Die Empfangsdame saß unter einem auf Leinwand aufgezogenen Riesenposter von drei Strandschönheiten im Tangaslip, über deren Pos sich imposante Arschgeweihe rankten, farblich auf die Cocktails in den Händen der Damen abgestimmt. Sollte auch mal ausgetauscht werden. Viel zu sehr Neunzigerjahre. Außerdem ließ das Bild die Empfangsdame mindestens zehn Jahre älter aussehen, und das konnte ja auch nicht Zweck der Übung sein. Die Arme.
    Sie winkte mir komplizenhaft zu, und ich konnte sehen, dass sie gern mehr gewusst hätte über meinen geheimnisvollen Anruf vom Fernsehen. Doch dazu war jetzt keine Zeit.
    Als ich vor IPS aus der großen Glasdrehtür trat, war ich geblendet. Die tief stehende Abendsonne prallte mir voll ins Gesicht, und ich kniff meine Augen zusammen. Dann sah ich, wie aus der hinteren Ecke des Parkplatzes sich jemand näherte. Er kam mir bekannt vor.
    Er kam mir sogar sehr bekannt vor.
    Und jetzt winkte er auch noch!
    Am Ende war es die Frisur, an der ich ihn zweifelsfrei erkannte. Dieser wippende, halblange Haarhelm, den er sich schätzungsweise 1979 hatte wachsen lassen und dem er treu geblieben war. Treuer jedenfalls
als der Frau, die er einmal geheiratet hatte. »Papa«, rief ich wie ein kleines Mädchen und ging schneller.
    Das war ja süß! Nachdem ich mich auf keine seiner Mails gemeldet hatte, war er einfach gekommen, um mich nach der Arbeit abzupassen! So eine Geste hätte ich meinem Vater gar nicht zugetraut. Scheinbar war es ihm doch wichtig, dass unser Kontakt nicht ganz abriss. Beinahe hatte ich ein schlechtes Gewissen. Es wäre mir doch wirklich kein Zacken aus der Krone gefallen, wenn ich endlich einmal geantwortet hätte. Er gab sich ja Mühe. Dumm nur, dass es mir ausgerechnet jetzt gerade so schlecht passte. Vielleicht konnte ich

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