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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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es auf ein paar Gramm mehr Koffein auch nicht an.
    »Kaffee?«, sie riss so entgeistert die Augen auf, als hätte ich sie um
ein Pfund rohes Fleisch gebeten. »Magst nicht lieber einen grünen Tee?«
    »Auch recht«, antwortete ich schnell. »Solange er stark genug ist.«
    Ich folgte ihrem Kinderpo in der Size-Zero-Designerjeans einen langen Gang entlang. In einer Teeküche, die so steril aussah wie in einem Raumschiff, schenkte sie mir einen Keramikbecher voll. Dann ging sie im gleichen Tempo weiter, und ich hielt eine Hand über den Becher, damit ich das heiße Gebräu nicht verspritzte. Das war gar nicht so einfach. Um mich herum roch es nach frisch gemähter Wiese.
    Schließlich öffnete sie eine der weißen Türen, die alle gleich aussahen. Dahinter lag eine Garderobe mit einer langen Reihe von Spiegeln und Abstelltischen, auf denen mehrstöckige Schminkkoffer aufgebaut waren. Auf einem der Stühle saß gerade eine Frau im pinkfarbenen Kunststoff-Trainingsanzug und hatte ergeben den Kopf zurückgelegt, während ein Visagist sich ihr mit einer Wimpernzange näherte.
    »Das ist der Schleibi, der macht hier Haare/Make-up«, stellte Jenny vor, »und um Outfits kümmert er sich auch. Schleibi«, sie ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Oberarm, »schau, hier wären jetzt die Mantras.«
    Schleibi hielt die Wimpern der Frau in Rosa eisern in seiner Stahlzange gefangen und musterte mich mit einem abschätzigen Seitenblick.
    »Hätt ich mir ja beinahe gedacht, dass das nicht die Muckis sind«, sagte er.
    Mantras? Muckis? War das ein spezieller Fernsehjargon? Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und musterte verstohlen die Frau in Rosa. Sie sah auch nicht aus, als würde sie zum Team gehören, eher wie ein weiterer Talkshowgast. Allerdings keiner, der sich besonders mit Yoga auseinandersetzte.
    Doch wer weiß. Man konnte sich ja täuschen. Wenn ich etwas gelernt hatte im Lauf der letzten Woche, dann das.
    Während sich Schleibi ihren Augenbrauen mit einer Pinzette näherte, schob sie beiläufig den Stoff ihres Oberteils ein Stück nach oben,
und ich bekam einen Schreck. Was sie da hatte, war kein Bauch. Wenigstens kein normaler Frauenbauch. Es war ein Waschbrett, bei dem Brad Pitt vermutlich die Tränen in die Augen geschossen wären.
    »Hallöchen«, flötete sie und verdrehte die Augen in meine Richtung, »ich bin die Sandy. Meine Freunde nennen mich Sän.«
    Bevor ich fragen konnte, was Sandys – oder Säns – Rolle in der Show war, öffnete sich wieder die Tür, und etwas Kleines huschte hinein. Schon zum zweiten Mal innerhalb von zehn Minuten dachte ich, ein Kind hätte sich in die Redaktionsräume verirrt.
    »Mei!«, rief das Kleine. »Ihr seid’s ja superpünktlich, das find ich super! Aber … das hier, das sind die Mantras, oder? Seid’s ihr sicher mit dem Outfit?«
    Das Kleine war stehen geblieben und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf mich. Manieren hatte es also auch keine. Was es hatte, war eine enorme Haarmähne, auf der ein neckisches Kopftuch im Retrostil saß, dazu ein passendes Blüschen und Dreiviertelleggings, und eine erstaunliche Menge Zahnfleisch, die es beim Lächeln entblößte.
    Und es war auch kein Kind, sondern Benita von Zitzewitz.
    Ich schätzte sie auf einen Meter sechzig und siebenundvierzig Kilo. Sie sah nicht so aus, als hätte sie in den letzten zwölf Jahren ein Fleischpflanzerl gegessen. Oder irgendetwas anderes, das mehr Kalorien hatte als Löschpapier. Ich hatte schon häufig gehört, dass die Fernsehkamera optisch mindestens fünf Kilo dazumogelte. Jetzt begann ich, daran zu glauben.
    Dann erst verstand ich, was das für mich selbst bedeutete. Wenn Benita mit dem Körper einer Achtjährigen wie eine ausgewachsene, schlanke Frau aussah – wie würde ich dann rüberkommen?
    Da war es wieder, das Titanic-Gefühl. Ich steuerte sehenden Auges auf einen Eisberg zu. Und er kam immer näher.
    Schleibi zuckte die Achseln und zeigte mit einem Augenbrauenpinsel auf mich. »So sehen diese Yoga-Outfits alle aus. Dieses pastellige Walla-Walla-Zeug.«
    Ich warf einen Seitenblick in den Spiegel. Schon wieder hatte ich etwas falsch gemacht. Ich verstand nur nicht, was. Was war denn an
meinem Wickelshirt und meinen energetisierenden Pulswärmern auszusetzen?
    »Zieh ihr doch mal das Shirt aus«, sagte Benita, »was hat sie denn drunter?«
    Schleibi legte seinen Pinsel ab, zupfte an meinem Shirt und schüttelte dann den Kopf.
    »No way«, antwortete er, »dann denken die

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