Mantramänner
saß ein Empfangsmann im blaugrauen Hemd hinter einem milchig weißen Tresen. Das Hemd hatte in etwa die gleiche Farbe wie die Wand hinter ihm, und wenn er nicht eine Brille mit auffälligem rotem Kunststoffgestell und einen buschigen, dunklen Schnurrbart gehabt hätte, man hätte ihn glatt übersehen können.
»Guten Morgen«, sagte ich, »ich bin Evke Frank. Ich soll hier zu …, ich meine, zu der Putztalkshow.«
Der Wachmann griff nach einem Klemmbrett und nickte bestätigend. »Ja, genau«, sagte er, » Bescheuert . Mantras oder Muckis?«
»Bitte, wie?«
»Ned so wichtig. Ausfüllen, bitte.« Er hämmerte mit haarigen Fingern
auf das Formular. Name, Geburtsdatum, Steuernummer. Sendeformat.
Ich kritzelte drauflos und fühlte mich beobachtet. Bei meinem Nachnamen verschrieb ich mich gleich dreimal. Und das war erst der Anfang. Das konnte ja heiter werden.
Ich reichte ihm das Brett zurück, ohne ihn anzusehen.
»Tut mit leid«, sagte ich, »das mit der Steuernummer … also, die weiß ich nun beim besten Willen nicht auswendig.«
Er musterte das Blatt finster, dann verzog sich der Mund unter dem buschigen Schnurrbart zu einem Lächeln.
»Ja, warum sagen S’ des ned gleich? Da darf man ja gratulieren!«
Er trommelte auf die zweite Zeile.
»Gratulieren?«
Für einen kurzen, wahnwitzigen Moment hoffte ich, er würde mir erklären, dass die Sendung abgesagt war. Dass dieser schnauzbärtige bayerische Portier mich vor mir selbst retten würde und vor dem peinlichsten Auftritt meines Lebens.
Die ganze Nacht hatte ich mich schlaflos in der aalglatten Bettwäsche meines Hotelbettes gewälzt und Raumsprayduft inhaliert. Wie war ich bloß auf diese Schnapsidee gekommen, auf diesen Höllentrip? Wie konnte ich, die vor ein paar Monaten die Kobra noch für eine orientalische Giftschlange gehalten hatte, hier auf einmal vor aller Welt als Yogaexpertin auftreten?
Um vier Uhr morgens hatte ich die Nachttischschublade geöffnet und Trost in der Bibel gesucht. Es hatte nichts geholfen. Denn leider gab es weder im Neuen noch im Alten Testament einen aufbauenden Spruch, der mit »Selig sind die Wahnwitzigen« begann.
Seit meiner ersten Yogastunde war ich nicht mehr so neben der Spur gewesen.
»Natürlich, gratulieren! Wer hat denn hier Geburtstag, Sie oder ich?«
Auch das noch. Daran wollte ich nun wirklich nicht denken, melli- und männerlos, wie ich war. Dass mein Vorsatz schon um sechs Uhr morgens in sich zusammenfiel, konnte kein gutes Zeichen sein.
Mitleidlos zeigte der Empfangsmann auf eine gläserne Tür und drückte dann auf einen Knopf hinter seinem Pult. Die Tür fuhr mit einem Zischen zur Seite und gab den Weg frei.
»Gehen S’ da durch und fahren S’ mit dem Lift in den siebten Stock. Die Jenny holt Sie ab und bringt Sie gleich in die Maske. Ich sag oben Bescheid.«
Erst als sich die Türen des Liftes hinter mir schlossen, hatte ich wieder das Gefühl, in der wirklichen Welt angekommen zu sein. Die Beleuchtung war genauso aquariumhaft wie im Sunny-Side-Aufzug, und an der Wand hing ein Kantinenplan. Montags gab es Fleischpflanzerl mit Letschogemüse, freitags Fisch in Eihülle. An diesem Morgen war mir der Speiseplan ein größerer Trost als Buddhas gesammelte Sprüche und die Hotelzimmerbibel zusammen. Waren eben alles nur Menschen, egal ob sie in der Lohnbuchhaltung eines mittelständischen Reiseveranstalters arbeiteten oder in der Redaktion einer sensationellen Putztalkshow. Auch wenn es in unserer Kantine keine bayerischen Fleischpflanzerl gab. Sondern norddeutsche Klopse alla Plisch und Plum.
Ich klammerte mich an den Gedanken wie einst Leonardo Di Caprio an jene Titanic-Holzplanke, auf der Kate Winslet saß. Nur schade, dass Leo trotzdem im Eiswasser ertrunken war. Wer garantierte mir, dass mir nicht genau das gleiche Schicksal bevorstand? So gesehen war auch dieser Trost nur von kurzer Zeit.
Die Schiebetür öffnete sich mit einem sanften Surren, und ein Mädchen erwartete mich. Es drückte sich ein Klemmbrett an die Brust und war so schmal, dass ich es im ersten Moment für höchstens zwölf hielt. Doch dann öffnete das Mädchen den Mund und sagte mit erstaunlich tiefer Stimme: »Hi, ich bin die Jenny. Personal Assistant von der Benita. Ich bring dich gleich in die Maske, magst vorher noch was trinken?«
»Ach ja«, sagte ich, »ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht.«
An diesem Morgen war ich von Natur aus so rajaz, dass man mich in keinem Yogazentrum mehr hineingelassen hätte. Da kam
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