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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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…«
    »Evke«, die Moderatorin bohrte ihren Blick jetzt noch tiefer in meine Pupillen und verstärkte ihren Griff zu einer eisigen Umklammerung, »ich dachte da schon eher an eine andere Form von Liebe.«
    Treffer. Versenkt. Weder meinen Satz zu Ende gebracht, noch den Firmennamen von Sunny Side untergebracht.
    »Also, ich kann das ganz klar mit Ja beantworten!«, rief Sandy dazwischen. »Ausdauer- und Kraftsport steigert jedenfalls die Ausdauer in allen, also wirklich allen Lebensbereichen. Vor allem, wenn man wie ich Ausdauertraining, Krafttraining und natürlich auch Kraftausdauertraining macht. In wechselnden Intervallen.«

    »Nun«, Benita lockerte ihren Schraubstockgriff an meinem Arm ein wenig, »dann frage ich mal so: Wie sieht es denn aus mit der geistigen Klarheit? Also, man liest ja immer wieder von Models und Schauspielern, die ganz abenteuerliche Bewusstseinszustände erlangen in ihrer Yogapraxis.«
    Ich brauchte jetzt dringend irgendetwas zum Festhalten. Wenn schon kein Holzbrett da war. Und leider, leider auch keine Zigarette.
    Schließlich griff ich nach einem blauen Wischlappen und fuhr damit kreisförmig über das glänzende Emaille.
    »Ja, das ist richtig«, sagte ich langsam und versuchte, gleichzeitig zu reden und im Voraus zu denken. »Das Spannende ist ja auch, dass man diese Zustände nicht unbedingt erreicht, wenn man im Kopfstand meditiert oder sich völlig von der Welt zurückzieht. Sondern gerade dann, wenn man etwas tut, also etwa Putzen, oder auch ganz versunken ist in der eigenen Arbeit …«
    »Kopfstand?«, rief Sandy dazwischen. »Vormachen!«
    »Ja«, sagte Benita und nickte, »hervorragende Idee. Wie wäre es, wenn du uns mal so einen richtig schönen Yogakopfstand vormachen würdest?«
    Zögernd schüttelte ich den Kopf. »Tut mir leid, ich bin noch nicht so weit. Bisher habe ich nur die Krähe geübt.«
    Benita hatte uns vorher eingeschärft, dass wir nur zu reden hätten, wenn wir mit ihr in der Badewanne saßen. Doch das schien Sandy wenig zu kümmern.
    »Also, der Kraftsport wird ja in dieser Hinsicht unterschätzt«, sagte sie energisch und wechselte Stand- und Spielbein. »Wenn ich mal Probleme hab oder so, also mehr so geistige, dann denk ich am besten darüber nach, wenn ich im dritten Satz mit zwanzig Wiederholungen an der Butterfly-Maschine noch mal fünf Kilo draufpacke. Da komme ich auf die erstaunlichsten Lösungen.«
    Benita nickte ihr zu, wandte sich von mir ab und schlang grazil ihre Beine über den Wannenrand. Eine der großen Studiokameras fuhr auf sie zu. Auf dem Studiomonitor sah man jetzt ihr Gesicht in Großaufnahme.
    »Kein Kommentar zum Liebesleben und Putzen als Yogaübung
gegenüber Ausdauer im Bett und Bodybuilding als Brain-Booster«, fasste sie zusammen, »ab jetzt ist Ihre Meinung gefragt, liebe Zuschauer. Wenn Sie der Meinung sind, dass Frauen heute Yoga brauchen, senden Sie eine SMS mit dem Stichwort …«
    Auf dem Bildschirm wurde Schrift eingeblendet. Per Textnachricht sollten die Zuschauer entscheiden, wer sich bisher besser geschlagen hatte.
    Zu gewinnen gab es auch etwas. Eine komplette Badezimmereinrichtung, eine einzelne Badewanne und ein Waschbeckenset mit Armaturen. Das hätte ich nicht geschenkt haben wollen. Mir reichten schon die Waschbecken in Szenerestaurants, die aussahen wie riesige Salatschüsseln und an deren Hähnen es niemals einen Hebel gab, mit dem man Wasser an- oder abstellen konnte. Zu oft hatte ich schon hilflos winkend an einem dieser Becken gestanden in der Hoffnung, dass meine Hand zufällig eine geheime Lichtschranke traf.
    Den Trostpreis hätte ich vielleicht genommen. Ein Wellness-Putzset, bei dem man Aromatherapie mit Küchenreinigung verbinden konnte. So eines, wie Jenny es vorhin neben mich hingestellt hatte. Aber als Studiogast durfte ich sicher nicht mitmachen. Und außerdem war mein Handy ja aus. Und ohne Handy keine Abstimmung.
    Danach begann die Werbepause. Es war klar, wer die Nase vorn haben würde.
    Dann, auf einmal, änderte sich mein Gefühl. Mein Atem wurde ruhiger. Die Lampen in meinem Kopf gingen wieder an und verbreiteten ein freundliches Licht. Ich klammerte mich noch immer an eine der Titanic-Schiffsbohlen, aber das Wasser um mich herum wurde langsam wärmer. Und schließlich stellte ich verblüfft fest, dass ich wieder festen Boden unter meinen Füßen hatte.
    An diesem Tag, am Morgen meines neunundzwanzigsten Geburtstags, in der Badewanne eines großen Sanitärherstellers, wurde mir plötzlich

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