Mantramänner
erfasst.«
Zwanzig Minuten später saßen wir tatsächlich im Studio. Das heißt, streng genommen saß eigentlich nur ich. Ich hatte die Beine gekreuzt, die Hände ins Cin-Mudra gelegt und atmete tief und gleichmäßig.
Nein. Nicht ganz. Ich hechelte wie ein überhitzter Terrier. Ich versuchte dabei aber so auszusehen, als atmete ich tief und gleichmäßig. Allein schon, damit mir das winzige Mikro nicht herunterfiel, das ein Techniker mit grauem Pferdeschwanz in meinen Ausschnitt geklemmt hatte.
Sandy stand im Ausfallschritt hinter mir, Bizeps angespannt, und erinnerte mich an ein Schaubild mit Muskelfasern aus dem Biobuch.
Benita von Zitzewitz war sogar gleich zweimal vertreten: Live im Studio kauerte sie in einer riesigen Badewanne mit Whirlpool und hatte sich eine Reihe von verschiedenfarbigen Scheuerlappen zurechtgelegt, und als Comicfigur tobte sie gerade über einen großen Studiobildschirm, auf dem wir den Vorspann der Sendung verfolgen konnten. Sie hüpfte darin mit dem Putzeimer in der Hand leichtfüßig über Waschbecken und Klos, zwinkerte neckisch unter ihrem
lässig geknoteten Kopftuch hervor, schnallte sich Wischtücher unter die Füße und drehte Pirouetten auf dem Küchenboden. Ganz am Ende nahm sie im Lotossitz auf dem Putzeimer Platz, um sich von dort langsam im Sitzen in den Himmel zu erheben.
Der Kameramann machte schon sein Zeichen zum Loslegen, da kam noch rasch Jenny aus der Kulisse gestürzt und stellte zwei Flaschen Putzmittel neben mir auf dem Boden ab. Auffällig schicke Flaschen.
»Bloß nicht umwerfen!«, zischte sie mir zu. »Der Hersteller ist ein ganz wichtiger Werbekunde!«
Dann konnte man auf dem Bildschirm gut gelaunte Menschen im Publikum sehen, die begeistert klatschten. In Wirklichkeit saßen wir in einem komplett leeren Studio, in dem es nicht einmal Zuschauerbänke gab. Aber die Technik machte alles möglich. »Um diese Zeit kommt keiner freiwillig in den Sender«, hatte Jenny erklärt, »ist aber auch egal. Wir brauchen Zuschauer ja sowieso nur als Schwenkfutter. «
Benita von Zitzewitz knipste ihr zahnfleischbetontes Lächeln an.
Jetzt konnte ich nur noch durchhalten. Irgendwie überleben. Schlimmer als in diesem Moment konnte nichts mehr werden.
Wenn schon keiner freiwillig ins Studio kam, dann blieb mir immerhin noch ein Fünkchen Hoffnung. Vielleicht schaltete ja auch keiner freiwillig seinen Fernseher ein.
»Grüß Gott und einen wunderschönen Morgen, liebe Zuschauer«, flötete Benita von Zitzewitz und machte dabei kleine Kreisbewegungen mit dem rosa Wischlappen. »Heute habe ich zwei Gäste, auf die ich mich besonders freue.«
Sie bedachte Sandy und mich mit einem warmherzigen Blick, als wären wir ihre lang verschollenen Kindergartenfreundinnen, die heute zufällig gemeinsam an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht waren.
»Es geht um die Frage: Mantras oder Muckis – was brauchen Frauen heute wirklich?«, erklärte sie. »Evke, du bist eine der zahlreichen Frauen in diesem Land, die ihr Glück mit Yoga gefunden haben. Aber, so ganz unter uns, es ist natürlich vor allem eine Frage, an der wir interessiert sind.«
Sie zwinkerte mir kumpelhaft zu und machte eine einladende Bewegung. Ich ließ die Hände sinken und stand auf, wobei mir das dünne Kabel zwischen Mikro und Sendekästchen unangenehm auf der Haut klebte. Dann kletterte ich zu ihr in die Wanne und versuchte mich zu konzentrieren. Endlich kam etwas, auf das ich vorbereitet war. Yoga und Wirtschaft. Yoga und Mitarbeitermotivation. Sunny Side, der sympathische, mittelständische Reiseveranstalter. Management by Yoga, der heiße Business-Trend aus den USA. Siebenundzwanzig Prozent. Meine Stichworte. Jetzt durfte ich Berger nicht enttäuschen.
»Evke«, sie legte mir ihren Gummihandschuharm auf die Schulter und blickte mir tief in die Augen, »jetzt sag uns mal ganz ehrlich: Verhilft Yoga zu einem besseren Liebesleben?«
Ich verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke. Es war sehr still im Raum und sehr heiß. Lag es an den Scheinwerfern um mich herum? An Benitas Frage?
Oder kam ich gerade mit neunundzwanzig in die Wechseljahre?
»Also, das kommt ganz darauf an, was man alles unter Liebe versteht«, stammelte ich schließlich. Die Titanic hatte den Eisberg gerammt. Jetzt konnte ich mich nur noch irgendwo festklammern. Schwimmen. Reden.
Hatte Leo aber auch nichts genutzt.
Vielleicht konnte ich den Kurs unauffällig ändern.
»In unserer Firma haben wir zum Beispiel die Liebe zu unseren Kunden
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