Mantramänner
Bettwäsche
eines fünfzehnjährigen Gruftis. Alles, was ich sehen konnte, war mein eigenes Gesicht, das sich in der Fensterscheibe spiegelte. Es sah weich und offen aus, aber das konnte auch an der trüben Beleuchtung liegen und nicht nur an der Beinaheerleuchtung, die ich heute Morgen erlebt hatte. Jetzt mal nicht übertreiben.
Meine Mutter hatte angerufen und mein Vater. Er war zu Hause und nervös. »Ilona hatte gestern so merkwürdige Bauchkrämpfe«, berichtete er, »wer weiß, nachher haben meine beiden Kinder noch am gleichen Tag Geburtstag!« Die Nachricht war von heute Morgen, und da es die einzige war, nahm ich an, dass Finn – oder Fynn? – sich wieder beruhigt hatte. War auch besser so. Bei aller Großherzigkeit – wenn ich schon mit neunundzwanzig einen Halbbruder bekam, wollte ich nicht auch noch meinen Geburtstag mit ihm teilen.
Meine Mutter war beim Chakren-Tanz in Ostwestfalen. Aber sie hatte dort ferngesehen.
»Meine liebe Evke«, hörte ich ihre Stimme, »ich bin so stolz auf dich. Du warst der einzige Mensch in dieser ganzen Runde, der wirklich bei sich war. Herzlichen Glückwunsch! Und zum Geburtstag auch!«
Ein warmer Schauer überlief mich. So wie früher, wenn ich mit einer guten Klassenarbeit im Schulranzen nach Hause getrabt war. Nur viel, viel besser.
Von Anna und Nadine hatte ich eine gemeinsame Nachricht bekommen. »Hey, Cleaning Woman«, schrieben sie, »schade, dass du nicht hier sein konntest. Lass uns am Wochenende richtig nachfeiern! «
Und dann war da noch ein kleiner Briefumschlag, bei dessen Anblick ich Herzklopfen bekam. Melli mobil.
Vorsichtig öffnete ich die Nachricht, als könnte ich per Tastendruck etwas zerstören, wenn ich nicht genügend aufpasste.
»So wird die Wanne aber nie sauber!«, schrieb sie. Abgeschickt um acht Uhr zwanzig.
Nicht mehr. Nicht weniger. Kein Glückwunsch. Kein Gruß.
Was war das?
Am liebsten hätte ich sie sofort angerufen. Aber abends um zwölf?
Und dann war da noch eine letzte Nachricht. Kein Name angezeigt, nur eine Nummer. Sie kam mir vage bekannt vor.
»Liebe Evke«, stand dort, »ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Ich weiß ja nicht mal, was du getan hast. Aber dass meine Liebste heute bei mir vor der Tür stand und mich gefragt hat, ob wir es noch einmal versuchen, das kann nur auf dein Konto gehen. Alles Gute zum Geburtstag! Steve.«
Wo er recht hatte, hatte er recht.
Am nächsten Tag kaufte ich mir in der Mittagspause mein eigenes Geburtstagsgeschenk. Es war ein schwerer Silberring mit Türkisen, und nachdem ich ihn bezahlt hatte, steckte ich ihn mir mit einer gewissen Feierlichkeit an.
Von heute an, das schwor ich mir, wollte ich mir treu bleiben. Für immer.
PURVOTTHASANA
Die Schiefe Ebene (Purvotthasana) ist hilfreich, wenn es darum geht, sich von schädlichen Gelüsten und selbstzerstörerischen Gewohnheiten zu befreien.
»Mahlzeit, Evke! Sag mal, was hast du denn so für Pläne für die KW 35?«
Erstaunt blickte ich von meinem Bildschirm auf. Berger klang so aufgeräumt, dass ich mir beinahe Sorgen machte. So war der doch früher nie gewesen! Außerdem duzte er mich immer penetranter, je penetranter ich ihn zurücksiezte. Wenn das so weiterging, würde er mich gleich fragen, ob ich ein Spezialangebot für Reisebüromitarbeiter mit ihm annehmen würde. Die Honeymoon-Suite auf den Malediven, Flug und Wellness inklusive. Gut, dass die Mittagspause unmittelbar bevorstand. Dann konnte ich mir wenigstens Bedenkzeit ausbitten.
»KW 35?« Ich blätterte in meinem Kalender. Anfang September. Das war noch etwa zehn Tage hin. Der dritte September war eingekringelt, daneben stand Fynn, mit Fragezeichen. Der errechnete Geburtstermin meines Halbbruders. Andererseits würde er an dem Tag sicherlich noch keine rauschende Party veranstalten und konnte auf meine Gesellschaft verzichten. Soweit ich wusste, wollten Neugeborene lieber schlafen, als grölend um die Häuser zu ziehen.
Lag wohl in der Familie. Mir ging es in letzter Zeit ganz ähnlich. Ich hatte die letzten Samstagabende allein im Bett verbracht, und es war bei Weitem nicht so deprimierend gewesen, wie ich befürchtet
hatte. Sonst hatte ich noch keine Pläne. So wie ich überhaupt sehr wenig Pläne hatte im Moment.
Berger kam mit Honigkuchenpferdegrinsen auf meinen Schreibtisch zu, lüpfte sein rechtes Hosenbein und setzte sich sportlich an die Tischkante. Dann beugte er sich bedenklich nah zu mir herunter, und ich schickte innerlich ein Stoßgebet an
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