Mantramänner
klar, warum Yoga so ein wichtiger Teil meines Lebens geworden war.
Ganz egal, ob der Yogalehrer mich hintergangen hatte, ob ich den Kopfstand nicht konnte und ob die Klamotten vom Namaste-Versand wirklich so besonders dick machten.
Zunächst mal hatte Benita völlig recht. Es gab eine ganze Menge Dinge, die Yoga nicht konnte.
Yoga hatte mein Liebesleben nicht verbessert. Wenn überhaupt, dann hatte Yoga mein Liebesleben in Schutt und Asche gelegt. Ich hatte einen Mann bekommen und wieder verloren und meine beste Freundin noch dazu. Ich hatte durch Yoga keinen Size-Zero-Hintern bekommen und stand auch keineswegs heiter lächelnd über den Dingen. Erst letzte Woche hatte ich ein lebendiges Wesen mit kleinen Blättchen zerstört und dabei geheult wie ein indischer Monsunregen.
Und trotz alldem wollte ich nicht mehr darauf verzichten. Da war nämlich etwas, das ich vorher noch nie erlebt hatte.
Ich war noch nie so glücklich gewesen mit mir selbst.
Mehr als das: Ich war überhaupt zum allerersten Mal im Leben glücklich mit mir selbst.
Denn es hatte diese Momente gegeben in den letzten Wochen und Monaten, die mir völlig neu waren. Momente, in denen ich meinen unsportlichen Körper ein- und wieder ausgerollt hatte und mich danach gefühlt hatte, als wären mit den Nackenschmerzen auch gleich alle anderen Dinge verschwunden, die mich belasteten und bedrückten. Aufgeräumt und angekommen bei mir selbst.
Und was mindestens genauso gut war: Auch andere sah ich jetzt anders. Frau Stöver, die so gern tanzte. Meinen Vater, der an einer neuen Familie alles gutmachen wollte, das er an seiner alten Familie falsch gemacht hatte. Steve, der keine Fremdwörter beherrschte. Aber der dafür wusste, wie man das Wort Liebe buchstabierte.
Und dann war da noch etwas. Manchmal, wenn ich in den kurzen Meditationen das Berufsschulgestrüpp hinter mir gelassen hatte, wenn ich sogar über den Kindheitsbildern von rauchig schmeckenden Kartoffeln in unserem Wochenendhaus geschwebt war, dann hatte ich mich auf eine Weise leicht gefühlt, die ich von früher nicht kannte. Auch wenn alte Yogameister wahrscheinlich nur ein mildmüdes Achselzucken für diesen unbedeutenden Vorort von Samadhi-City übrig hatten, der inneren Welthauptstadt der Erleuchtung. Egal. Mir ging es gut mit mir. Auch wenn die Welt um mich herum sich gerade im Schleudergang drehte und dabei ächzte wie eine altersschwache
Waschmaschine. Die ganze letzte Woche hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Und trotzdem stand ich immer noch. Ich hatte nichts dazu getan und dennoch einen Schritt gemacht. Jetzt endlich, ganz ohne Anstrengung, war ich dort, wo Siv auch war. Wo er neulich gewesen war, als Nadine und ich vergeblich versucht hatten, ihn in die Mangel zu nehmen. In sich ruhend im Auge des Sturms. Ich hatte meinen Geist so weit gedehnt, wie ich es noch heute Morgen nicht für möglich gehalten hatte. Das war fast so gut, wie mit durchgestreckten Beinen die Hände auf den Boden zu legen. Das konnte ich nämlich mittlerweile auch.
Doch so etwas war nicht so leicht zu erklären. Jedenfalls nicht so leicht wie die Sache mit den Gewichten im Fitnessstudio, mit Fettverbrennung und Kraft-Ausdauer. Und schon gar nicht in einer Putzsendung.
Während die Werbepause andauerte, kletterte ich aus der Wanne, ließ mich wieder im halben Lotossitz nieder und warf einen zufälligen Blick auf die Aromatherapie-Scheuermilch, die Jenny vor mir aufgebaut hatte. Und da saß er mal wieder, mein alter Freund, der schon in so vielfältiger Gestalt mit mir gesprochen hatte. Der mir Vorträge von Flyern und Autos und Sweatshirts herunter gehalten hatte und der ganz offensichtlich an mich glaubte. Ein kleiner, dicker Mann auf einer Putzmittelflasche mit einem Scheuerlappen in der Hand. Es sah reichlich dämlich aus. Um nicht zu sagen: bescheuert. Aber einem wie Buddha konnte das nichts anhaben. Wer so viel Würde besaß, behielt sie in jeder Situation.
Er sah mich stumm an und sagte nichts. Ich hätte schwören können, dass er ein bisschen belustigt war über meinen überraschenden Moment der Erkenntnis. Was hier passierte, war jenseits der Worte. Ich wusste, dass er wusste. Und er wusste, dass ich wusste.
Wenn das mal kein schönes Geburtstagsgeschenk war.
Om, dachte ich und schloss die Augen.
Es war um fünf Minuten vor Mitternacht, als ich mein Handy wieder anschaltete. Der ICE stand irgendwo auf freier Strecke kurz vor zu Hause, der Himmel draußen war so schwarz wie die
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