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Manuskript des Teufels

Manuskript des Teufels

Titel: Manuskript des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bert Saurbier
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vorwiegend der menschlichen Ratio entsprungen sind. Wieso kann und darf der Verstand, der offensichtlich blind ist für das Spirituelle und Transzendentale, unsere wertvollsten Herzensangelegenheiten bestimmen? Das ist ein Widerspruch. Ich empfinde in diesem Moment Unsicherheit, Verzweiflung, Enttäuschung und auch Wut. Warum dulden wir so was?“
    Stille lag über dem Vorlesungsraum. D’Aubert schaute Darling lange an und war gleichzeitig überrascht und geschockt. Wie konnte ein junger Amerikaner das, was er mit seiner heutigen Vorlesung einleiten wollte, jetzt schon so exakt und treffsicher auf den Punkt bringen?
    Die Studentinnen und Studenten saßen reglos in den Reihen und gaben keinen Pieps von sich. Sie schienen überfordert.
    D’Aubert fing sich rasch. „Meine Damen und Herren, ich bin begeistert von dem Scharfsinn meines amerikanischen Freundes. Mister Darling, Sie darf ich bitten, mit der hochinteressanten Diskussion über dieses heiße Eisen bis zu unserem Interview zu warten. Die Übrigen muss ich auf morgen vertrösten.“
    Wieder einmal machte sich bei D’Aubert ein Alarmsystem bemerkbar. Wusste dieser Wall-Street-Mann etwas über sein verbotenes Manuskript? Doch irgendetwas in ihm wehrte sich gegen das Misstrauen gegenüber diesem sympathischen Journalisten. Oder war er nicht der, für den er sich ausgab? Um sicher zu gehen, nahm sich Professor D’Aubert vor, dem jungen Amerikaner auf den Zahn zu fühlen.
    Nach einer Smalltalk-Kaffeepause lud D’Aubert Abraham Darling ein, das Gespräch in seinem Dienstzimmer fortzuführen.
    „Ich darf doch“, fragte Darling, als er seinen Handy-Digital-Recorder auf den großen runden Tisch vor D’Aubert platzierte. Zusätzlich legte er einen nagelneuen DIN A5 Notizblock und zwei frisch angespitzte Bleistifte vor sich.
    D’Aubert schaute ihm bei den scheinbar routinierten Vorbereitungsarbeiten zu.
    „Und hier, mein bestes Stück“, erklärte Darling stolz, „eine Spezialkamera, die es uns ermöglicht, Bilder, vor allen Dingen Portraits im berühmten Wall-Street-Journal-Hedcut-Effekt zu präsentieren. Wie umfangreiche Untersuchungen ergeben haben, erwecken Fotos dieser Technik den Eindruck, als bestünden sie aus unendlich vielen kleinen Punkten oder Strichen, und erreichen ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit.“
    Das zweieinhalbstündige Gespräch nahm einen dem vorgegebenen Thema entsprechenden Verlauf und fand in einer freundschaftlichen aber auch respektvollen Atmosphäre statt.
    „Herr Professor, ich hätte zum Abschluss noch eine Frage, die an meine heute Morgen in der Vorlesung gestellte anschließt.“
    „Darauf habe ich schon gewartet. Bitte nehmen Sie, wie man hier in Deutschland so schön zu sagen pflegt, kein Blatt vor den Mund.“
    „Ich muss gestehen, dass ich zur Vorbereitung auf unser Gespräch einige ihrer letzten Veröffentlichungen studiert habe. Das, was ich dort gelesen habe, möchte ich hier noch mal mit meinen eigenen Worten zum Ausdruck bringen.“
    „Schießen Sie los!“
    „Ja, also, wir sollten nicht von der Einheit der menschlichen Dreifaltigkeit, sondern eher von der menschentypischen Vierfaltigkeit sprechen. Zum Wesen des Menschen gehört demnach nicht nur die physische, psychische und rationale, sondern auch die vierte, die spirituelle Ausrichtung. Und eben diese in der Natur des Menschen fest verankerte Beziehung zu Gott und zur Ewigkeit gerät fatalerweise in ihrer praktischen Ausübung in den Bannkreis der Heiligen Schriften, der Religionen und der Kirchen. Habe ich das in etwa richtig wiedergegeben?“
    „Weitgehend korrekt. Fahren Sie ruhig fort!“
    „Ich komme jetzt zu dem von mir empfundenen Widerspruch. Mit unserem Verstand können wir Gott nicht erkennen und begreifen. Wie kann man denn überhaupt damit leben, dass reinrassige Exponate der rationalen Dimension, nämlich die Heiligen Schriften, die Religionen und die Kirchen, sich anmaßen, den emotional-spirituellen Menschen in der Ausübung seiner Gott-Beziehung zu entmündigen und zu manipulieren? Oder sehe ich da etwas völlig falsch?“
    Darling war stolz auf sich, die Ausführungen des Professors so gut rezitiert zu haben. Er wollte ihn aus der Reserve locken, provozieren, und war auf seine Reaktion sehr gespannt.
    D’Aubert erhob sich bedächtig aus seinem Sessel und legte kameradschaftlich seinen Arm auf Darlings Schultern, der ebenfalls aufstand: „Meine Hochachtung. Sie haben nicht nur völlig recht, Sie haben auch Ihre Rolle überzeugend gespielt,

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