Manuskript des Teufels
dir nicht die Santa durch kriminelle Verdienste erwerben müssen. Nein, in ein paar Jahren wirst du mein persönlicher Quinto sein. Du sollst, wie dein Vater, der mein Freund war, eine der ganz seltenen Spitzenpositionen bekleiden. Wenn diese Zeit gekommen ist, wirst du das Erkennungszeichen dieser privilegierten Familienangehörigen tragen dürfen: die Tätowierung eines fünfzackigen Sterns. In etwa fünf Jahren wirst du diesen Grad erreicht haben. Bis dahin habe ich Spezielles mit dir vor. Ab nächstem Semester wirst du dich als immatrikulierter Student der juristischen Fakultät an der Aldo-Moro-Universität-Bari bezeichnen dürfen. Dort studieren über 7000 Studenten. Die Hochschule wurde am 30. Todestag von Aldo Moro nach dessen Namen benannt. Er war der berühmteste Student und später auch Dozent für Strafrecht. Ende der 50er Jahre war Aldo Moro Justizminister, 1963 bis 68 und 74 bis 76 Ministerpräsident. 1978 wurde er auf dem Weg zum Parlament von der Brigata Rosso ermordet.“ Er holte tief Atem. „Ich weiß, dass du dereinst ein unschlagbarer Jurist sein wirst, der vor allem die Schlupflöcher der staatlichen Gesetzgebung kennen wird wie kein Zweiter. Das ist nicht alles. Du wirst in diesen fünf Studienjahren drei Fremdsprachen erlernen. Ich denke an Englisch, Deutsch und Russisch.“ Barbaro legte die Hand auf Leanos Unterarm. „Ich bin mir sicher, dass du alles mit Bravour schaffen wirst.“ Vittorio Barbaro hob beschwichtigend die Hand, als er merkte, dass Leanos Augen begannen, ein großes ‚Aber‘ zu produzieren.
„Ich bin wie ein Vater zu dir. Deine Familie bleibt in San Luca wohnen und deine Frau erhält jeden Monat einen Scheck. Dir wird in Bari in Uni-Nähe eine schöne Wohnung zur Verfügung stehen. Studiengebühren sind für fünf Jahre bezahlt.“
Der mächtige Boss der Bosse stand jetzt auf. „Und nun hierzu.“ Barbaro deutete auf eine Wandnische an der rechten Seite. Vom Boden bis zur Decke war eine Zeichnung zu sehen. Eine Art Grundriss. Er blieb davor stehen. „Was siehst du hier?“
Leano studierte die riesige Orientierungskarte. „Gänge, längere und kürzere. Sie kreuzen sich teilweise. Sieht so aus, als würden einige Wege in unterschiedlich großen Räumen enden. In der Mitte dieses Irrgartens scheint sich eine großflächige, aus mindestens 15 großen und kleinen Zimmern bestehende Wohnanlage zu befinden.“
„Dies ist die Grundrisskarte des sogenannten Schattenreiches in der Unterwelt von Plati. Bevor ich sie dir erläutere, ist noch eine heilige Zeremonie zu vollziehen.“
Vittorio trat auf Leano zu und umarmte ihn. Er küsste ihn auf die linke Wange, auf das rechte Ohr, auf die Stirn und auf den Mund. „Diese rituelle Handlung bedeutet absoluter Gehorsam, der Geist der Familie hat von dir Besitz ergriffen und dein Mund wird nie ein verräterisches Wort zulassen.“
Leano staunte über sich selber. Warum fühlte er sich nicht überrumpelt? Warum protestierte nichts in ihm gegen diese Totalverplanung seiner Zukunft und seines Lebens? Aber, überlegte er, wie hätte seine Zukunft und die seiner Familie, vor allem die seiner Kinder, ohne den heutigen Tag ausgesehen? Trist und trostlos im Vergleich zu dem, was ihm jetzt in Aussicht gestellt worden war.
Leano war alles andere als enttäuscht oder verärgert.
Von ihm hatte eine Stimmung Besitz ergriffen, als wäre er von einem dicken Lottogewinn überrascht worden.
Er empfand mehr als tiefe Sympathie für den Paten, Dankbarkeit und Verbundenheit in absoluter Treue bis in den Tod.
Hart erworbene Lebenserfahrung und Menschenkenntnis gaben Barbaro die Gewissheit, in seinem jungen Familienmitglied, der den poetischen Namen Leano Leone trug, einen Menschen gewonnen zu haben, der einmal eine bedeutende Rolle im `ndranghetischen Familienclan, diesem prosperierenden Imperium, spielen würde.
„Nun werfen wir einen Blick in unsere Unterwelt“, sagte Barbaro. „Die Mahagoniwand gegenüber lässt sich wie ein Garagentor öffnen. Dahinter liegt eine über 58 Stufen steil abwärts führende Treppe. Parallel dazu verläuft auch eine Rolltreppe. Sie führt uns in eine Welt, die der gesamten Führungsriege Schutz vor Verfolgung und Gefahr bietet, wenn es nötig sein sollte. Auch Naturkatastrophen können dort unten überlebt werden. Wie findest du das?“
„Toll, Wahnsinn“, stieß Leano hervor, „sowas Sensationelles hab ich noch nie gesehen, unvorstellbar.“
„Ja, das ist es wirklich, unser unterirdisches Reich. Es
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