Manuskript des Teufels
mit der Umgebung hat?“
Leano überlegte und auf einmal erschien ein schelmisches Grinsen in seinem Gesicht: „Signore Barbaro…“
„Ich bitte dich, nenn mich Vittorio! Wir sind eine Familie, pardon, ich habe dich unterbrochen.“
„Vittorio“, fuhr Leano fort, „das ist nicht schwer zu erraten. Diese Wand ist mobil. Dahinter befindet sich etwas, das man auf den ersten Blick nicht erkennen soll. Also ein Geheimnis. Vielleicht ein Geheimgang?“
Barbaro lächelte. „Kein Zweifel. Du bist aus unserem Holz geschnitzt. Hör genau zu. Dein Vater war der Neffe meiner Großmutter, Gott habe sie selig. Auch in deinen Adern fließt Barbaro-Blut, und damit bist du ein direktes Mitglied unserer Familie.“ Nach einer kurzen Pause, in der er Leano anschaute, fuhr er fort. „In den letzten Jahren habe ich dich beobachten lassen. Verzeih mir, aber es musste sein. Vielleicht wirst du es später einmal verstehen.“ Vittorio stand auf und schaute seinem Gegenüber würdevoll in die Augen. „ Du, mein Junge, wärst der richtige Mann, die Stelle deines Vaters einzunehmen.“
Leano sah ihn mit großen Augen an, blieb aber still.
„Mach dir keine Gedanken. Ich kenne deine Bedenken. Deiner Familie wird es gut gehen. Deine liebe Mutter, deine hübsche Frau und deine Kinder stehen auf Lebzeiten unter meinem persönlichen Schutz.“ Leano nickte wie geistesabwesend. ’Welch eine persönliche Nähe.’ „Deine ersten fünf Jahre werden ausschließlich Lehrjahre sein. Erfahrene Familienmitglieder stehen an deiner Seite. Nutze diese Zeit mit wachen Sinnen und klarem Verstand, um mehr und mehr in deine neue Rolle hineinzuwachsen. Und bedenke: Den Himmel auf Erden gibt es nicht umsonst. Je mehr Leistung und Geschick du beisteuerst, desto größer wird der Lohn dafür ausfallen.“
Plötzlich trat dieser stahlharte Mann, der Herrscher eines Weltimperiums, mit Tränen in den Augen auf Leano zu, umarmte ihn, drückte ihn an sein Herz, ergriff seine Hände und schaute ihn wohlwollend an: „ Du weißt vielleicht, dass meine liebe Frau, mit der ich viele glückliche Jahre bis zu ihrem tragischen Tod nach einer unheilbaren Erkrankung erleben durfte, mir keine Kinder schenken konnte. Aber irgendwann ... irgendwann werde ich unsere Familie in die Hände eines vertrauten jungen und fähigen Familienmitglieds übergeben.“ Er schloss kurz die Augen. „So, genug davon. Drück auf den Knopf!“
„Knopf?“, fragte Leano und seufzte. Wollte ihn dieser alte Fuchs bloßstellen? Wollte er ihm zeigen, dass er noch viel zu lernen hatte?
Barbaro wies ihn mit einigen Gesten an, die Sauna zu verlassen. Leano betrat den Vorraum des Wellnessbereichs, bewunderte einen wunderschönen aus hellbeigem Marmor gearbeiteten Brunnen, auf dessen Rand die unbekleidete Aglaia, die griechische Göttin der Anmut, saß. In ihren Händen hielt sie eine Amphora aus der pausenlos ein Schwall Wasser ins Brunnenbecken plätscherte.
Leano fiel auf, dass der kleine Finger an der linken Hand der göttlichen Figur unnatürlich im fast rechten Winkel nach oben abknickte. In seinem Unterbewusstsein kam der Gedanke auf, dass an diesem kleinen Hebel der Wasserfluss abzustellen sei.
Die Aufforderung des Paten ließ ihm diesen Fingerhebel in einem anderen Zusammenhang erscheinen. Er ergriff den Finger und fragte: „Soll ich?“
Vittorio war inzwischen an ihn heran getreten, kniff Leano kräftig in die rechte Wange und strahlte ihn an: „Du verdammter Lausekerl, ich glaube, dich hat der Himmel geschickt. Nun los, leg den Hebel um!“
Leano tat, wie ihm geheißen.
Zunächst war ein leises Surren in der Sauna zu hören. Gleichzeitig kippte die hintere Saunawand einschließlich der Holzbänke nach vorne und verschwand im Boden. Der Weg war frei. Dahinter lag ein großer Raum, der mit anthrazitfarbenen Marmorplatten ausgelegt war. Die untere Hälfte der Seitenwände war mit hellgrauen, schwarzgemaserten Marmorquadraten verkleidet, die obere mit längs verlaufenden Mahagoni-Holz-Tafeln.
Barbaro strahlte angesichts des überraschten Gesichts seines jungen Gastes. „Heute hast du das Geheimnis der Sauna kennengelernt, und ab diesem Tage bist du ein Giovane d’onore, ein ehrbarer Junge.“ Barbaro legte eine Pause ein, als müsse er nachdenken. „Keine Sorge, du wirst nicht die einzelnen Stufen der Rangordnung durchlaufen. Du wirst dich nicht als Picciotto d’onore, als Soldat, beweisen müssen. Auch nicht als Camorrista di sgarro, als Schutzgeldeintreiber. Du wirst
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