Manuskript des Teufels
funktionieren, weil sie befremdlich wirken oder gar götzenhaft.“ Er lehnte sich gefällig zurück, als genieße er jedes Wort des Gespräches. „Mir gefällt das ausgesprochen gut: Jeder hat das Recht auf seinen eigenen Gott.“
„Ganz deiner Meinung. Im Prinzip. Dennoch besteht eben dadurch die Gefahr einer verwirrenden Vielgötterei. Wie entsteht denn das Bild, das ich mir von Gott mache? Die Antwort ist einfach. Durch den Einfluss des Umfelds. Also Eltern, Verwandte, Lehrer, Gesellschaft.“
„Die Kirchen und Medien bitte nicht vergessen.“
„Stimmt natürlich. Aber trotz dieser unterschiedlichen Einflüsse kommt es zu einem interessanten Phänomen...“
„Mach’s nicht so spannend!“
„Mit der Zeit entwickelt sich in einer religiösen Gemeinschaft tatsächlich ein einheitliches Gottesbild.“
„Das nennt man wohl Gruppendynamik oder so?“
„Genau. sie ist letztlich die Ursache dafür, dass sich zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte, an den verschiedensten Orten der Welt und in jeder religiösen Gemeinschaft ein spezifisches Gottesbild entwickelt konnte. Vergleichbar mit der Entstehung unzähliger unterschiedlicher Sprachen und Kulturen.“
Kirschbaum schaute seinen Gesprächspartner mit nachdenklicher Miene an: „Das liefert aber immer noch keine Erklärung dafür, warum sich religiöse Menschen bereitfinden, sogenannte ´Heilige Kriege’ zu führen oder im Namen Gottes zu diffamieren, zu hassen und zu töten.“
„Im Prinzip ganz einfach zu erklären“, ging D’Aubert tief durchatmend auf diese Frage ein. „Die Institutionalisierung einer Volksgemeinschaft nennt man Staat, die einer religiösen Gemeinschaft Kirche. Und jetzt, Efraim, der Grund für die Probleme. Zu den Persönlichkeitsmerkmalen des Menschen gehören nun mal seine Schwächen und Stärken, gehört sein Bewusstsein von vermeintlicher Überlegenheit und Unterlegenheit. So wurde es möglich, dass sich bald auf der Spielwiese der religiösen Institutionen dogmatische und klerikale Missstände breitmachten. Das mündlich und vor allem schriftlich überlieferte Wort Gottes, die heiligen Schriften, sind die Basis der religiösen beziehungsweise kirchlichen Glaubensinhalte, Glaubenslehren und der religiösen Ideologie. Dabei sind weltweit Hunderte von Religionen, Kirchen oder Konfessionen einem gewaltigen Irrtum erlegen. Denn wir haben inzwischen wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesen, dass die heiligen Schriften aller Religionen eben nicht Gottes Wort sind, sondern von zahlreichen Autoren aus unterschiedlichen Epochen mit unterschiedlichen Ansichten und Absichten stammen. Das Niedergeschriebene wurde über Jahrhunderte fehlerhaft übersetzt, falsch interpretiert, umgeschrieben, korrigiert, gekürzt oder ergänzt. Es verwundert also nicht, wenn die vom Menschen verfassten heiligen Schriften aller Religionen mit zahlreichen Widersprüchen und Fehlern behaftet sind. Weltweit leiden Tausende von Kirchen, Religionsgemeinschaften, Konfessionen und auch Sekten von ihren frühesten Anfängen an bis in die heutige Zeit unter einem weiteren verheerenden Problem. Ich spreche hier“, betonte der Professor, „von dem allzu oft anzutreffenden autoritären, geradezu despotenhaften, die Menschenwürde missachtenden, an totalitäre Diktaturen erinnernden Führungsstil der Kirchen. Fundamentalismus, also die Rückbesinnung auf althergebrachte Grundwerte, wäre als Gegengewicht zum religiösen Liberalismus durchaus akzeptabel, aber, wie die Geschichte bis in die jüngste Zeit zeigt, paart sich allzu oft betonköpfiger Fundamentalismus mit Absolutismus und militantem Fana-tismus. Den aufgeschlossenen Menschen unserer Tage be-fremden und verärgern unverständliche, nicht nachvollziehbare Glaubenslehren und Kirchengebote ebenso wie erzkonservative, autoritäre Führungsstile. Diese inhaltlichen und strukturellen Missstände sind nicht nur im Christentum, sondern in unterschiedlichem Ausmaße in allen Religionen, auch in den großen Weltreligionen wie Islam, Hinduismus, Buddhismus, Shinto, Bahai, Jainismus und auch im Judentum zu beklagen.“
„Mensch, Stephan“, echauffierte sich Efraim, „wenn ich allein nur an die vielen Problemzonen der katholischen Kirche denke. Denk nur mal an den Widerspruch der Schöpfungsgeschichte und der Darwinschen Evolutions-Lehre, an die Probleme mit der Sexualität, der Verhütung, der Pille danach und an den Zölibat. Nicht zu vergessen die Diskriminierung der Frauen im Kirchendienst, die
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