Manuskript des Teufels
Hexenverfolgung, die Inquisition, die Kreuzzüge und an das blamabel lange Festhalten am geozentrischen Weltbild. Heute kaum mehr zu glauben, dass die heilige Inquisition Galileo Galilei im 17. Jahrhundert den Prozess gemacht hat, weil er behauptet hatte, dass die Erde um die Sonne kreist. 1633 wurde Galileo Galilei gezwungen, seine Lehre zu widerrufen, wollte er der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen entgehen. Erst 1992 wurde der Wissenschaftler von Papst Johannes Paul II. rehabilitiert. Unvorstellbar auch, dass im 11.Jahrhundert die Gabel als Esswerkzeug verboten wurde. Die ersten Gabeln besaßen drei Zacken, und der Dreizack galt damals als Symbol des Teufels. Oder der unsägliche Ablasshandel, das Unfehlbarkeitsdogma und an...“
„Stopp, Stopp“, bremste ihn D’Aubert aus, „wenn du so weiter machst, sitzen wir um Mitternacht noch hier.“
„Stimmt, Stephan, es gäbe noch eine Menge zu sagen. Ich muss zugeben, dein Manuskript interessiert mich mehr und mehr. Ich kann es kaum erwarten...“
„Gemach, gemach“, versuchte D’Aubert seinen Gast zu beruhigen. „Eines musst du noch wissen. Vor mir haben schon andere ähnliche Kritik geäußert.“
„Und wer zum Beispiel?“
„Mahatma Gandhi hat zu den heiligen Schriften gesagt: ‚Ich glaube zwar, dass die Hauptbücher der großen Weltreligionen inspiriert sind, doch sie leiden unter einem zweifachen Destillationsprozess. Zuerst gehen sie durch den Mund eines menschlichen Propheten, dann durch die Kommentare der Interpreten. Nichts daran kommt direkt von Gott, und da seine Botschaft durch das unvollkommene menschliche Medium weitergegeben wird, ist sie mehr oder weniger anfällig für Entstellung‘.“
„Womit er meiner Meinung nach recht hat.“
„Kennst du das Drama um Hans Küng?“
„Der Priester, Autor, Theologieprofessor und Kirchenkritiker?“
„Genau. Ihm hat die Deutsche Bischofskonferenz im Dezember 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen. Hauptgrund für diese starrsinnige Verurteilung war Küngs Kritik am Kirchendogma der Unfehlbarkeit. Eugen Drewermann erging es 1991 nicht anders. Wegen seiner symbolischen Deutung zentraler Glaubensinhalte, vor allem der jungfräulichen Empfängnis und Geburt, der Auferstehung, der Himmelfahrt und der Wunder. 1992 entzog man ihm die Predigtbefugnis. Dann erfolgte die Suspension vom Priesteramt, und 2005 trat Drewermann aus der römisch-katholischen Kirche aus.“
„Leg dich nicht mit den Oberen an!“, antwortete Kirschbaum und lächelte. „Kann es sein, dass die permanent hohe Zahl an Kirchenaustritten in den letzten Jahrzehnten als eine Art stille Revolution gegen die Kirche zu verstehen ist? Junge Leute fühlen sich von der Kirche immer weniger verstanden. Und die hochbetagten Honorigen der Kirchen verstehen die Jugend nicht mehr“
„Das denke ich auch. Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums haben die Deutschen von 17 zur Wahl gestellten Institutionen, wie zum Beispiel Regierung, Schule, Gewerkschaften oder diverse Vereine, am wenigsten Vertrauen in die Kirche. Hinzu kommt, dass die Menschen immer seltener in die Kirche gehen. Immer mehr Menschen entdecken die wahre Liebe Gottes und die unwahre der Kirche. In einer Studie unseres Institutes kam heraus, dass über 80% der Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, ihre persönliche Gott-Beziehung, sprich ihren Glauben, nicht aufgegeben sondern noch vertieft haben. Eine Aussage ist geradezu typisch: ‚Seit ich die bevormundenden Fesseln der Kirche abgelegt habe, fühle ich mich frei für meinen Gott‘. Der kürzeste Kommentar junger Leute lautete: ‚Gott ja, Kirche nein‘. Die individuelle Gott-Verbundenheit ist das größte Glück für die Menschheit. Die absolutistischen, betonkonservativen, autoritären Kirchen sind in Zeiten zunehmender Globalisierung das größte Übel der Menschheit.“
„Ja natürlich“, schaltete sich Efraim wieder ein. „Dank der modernen Kommunikation und Mobilisation sind die Berührungsflächen der unterschiedlichsten Rassen, Sprachen, Kulturen und Religionen immer größer und intensiver geworden. Aber Rassenhass, Sprach- und Kulturbarrieren und vor allem absolutistische religiöse Intoleranz haben auf unserem immer kleiner werdenden Globus keinen Platz mehr. Wollen die Menschen menschlich existieren, müssen sie lernen, das höchste und wertvollste Gebot Gottes zu leben: die Nächstenliebe. Nächstenliebe bedeutet vorurteilsfreie, anerkennende Toleranz. Die Rassen werden und müssen sich
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