Manuskript des Teufels
davon, dass ich deinen Ausführungen voll und ganz zustimme, höre ich dir sowohl als Mensch als auch als Verleger mit großem Interesse zu.“
D’Aubert nickte ihm zu: „Das freut mich. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Also es gibt Untersuchungen, dass immer dann, wenn dem Zugang zu Gott ein Riegel vorgeschoben wird, dem Aberglauben, den Sekten oder dem Okkultismus Tür und Tor geöffnet werden. Dies ist ein untrüglicher Beweis dafür, dass dem Menschen ein spirituelles, ein metaphysisches Bedürfnis, eine Gott-Verbundenheit zu eigen ist. Ich würde dieses wissenschaftlich nachgewiesene Phänomen sogar als Gott-Sehnsucht bezeichnen. Genau das unterscheidet den Menschen dimensional vom Tier. Seine Spiritualität, sein Ich- und Gott-Erleben. Alles andere haben Tiere auch. Nur in der Gott-Verbundenheit können der einzelne Mensch und die Menschheit Antworten auf Fragen finden, die sich in jedem Leben und in jeder Geschichtsepoche immer wieder aufs Neue stellen. Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach der individuellen Wertigkeit und Fragen nach dem Danach.“
„Der Mensch also“, unterbrach Efraim, „definiert sich, wenn ich dich richtig verstanden habe, nicht nur durch Körper, Gefühl und Verstand, sondern ganz wesentlich durch Spiritualität, durch Gott-Bedürftigkeit, Gott-Sehnsucht oder Gott-Verbundenheit. Das Wahrnehmen Gottes, also Gott als Wahrheit annehmen, ist eine Fähigkeit, die nicht mit den Instrumenten der Physis, der Psyche und erst recht nicht mit der Ratio möglich ist. Ja, wir müssen mit der Tatsache leben, dass unser hochgelobter Verstand absolut blind ist für einen realistischen Blick in Gottes Reich. Selbst der klügste Kopf, der hellste Verstand, das brillanteste Gehirn oder der weiseste unter allen Weisen sind nie und nimmer in der Lage aus dem Diesseits einen Blick ins Jenseits zu werfen und einen rational schlüssigen Gottesbeweis oder Gegenbeweis zu erbringen. Das muss doch bedeuten, dass Gott ausschließlich in der vierten, in der erhabensten und würdigsten Dimension des Menschen stattfindet, in der menscheigenen Spiritualität.“
„Efraim“, bewunderte ihn Stephan, „du bringst es auf den Punkt. Hätte ich nicht besser formulieren können. Ich bin froh, dass du mir bis hierhin zustimmst. Vielleicht ist es auch genau das, was mein Manuskript so verhasst und begehrenswert macht. Denn diese Gott-Bedürftigkeit des Menschen besitzt eine gewaltige Macht. Die Geschichte lehrt uns, dass Staaten, die die Religion missachten, letztlich ihre Bürger missachten. In diesem Zusammenhang sei nur an die Gräuel des Nationalsozialismus und des gottlosen Kommunismus erinnert. Aber weder der eine noch der andere waren in der Lage, das Mit-Gott-Leben auszurotten. Ein aktuelles Beispiel für die Unbezwingbarkeit des Göttlichen im Menschen ist der vergebliche Vernichtungskampf der chinesischen Machthaber gegen den tibetanischen Buddhismus, den Lamaismus.“
„Stimmt“, warf Efraim ein. „Das ist sehr anschaulich.“
„Während meiner Studien bin ich bis in die frühesten Anfänge der Menschheit und in die entlegensten Winkel unserer Erde vorgedrungen. Immer und überall bin ich einem ausgeprägten Gott-Bedürfnis begegnet. Die Heils-Sehnsucht ist allgegenwärtig.“
„Ausgesprochen überzeugend“, staunte Kirschbaum. „Ich könnte dir stundenlang zuhören.“
„Efraim“, fuhr D’Aubert ermutigt fort. „Ich muss an dieser Stelle auf ein paar dir bekannte Dinge zurückgreifen, weil sie als Basis für weitere Ausführungen in meinem Manuskript von Bedeutung sind. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Erst durch die Zugehörigkeit zu einer Familie, einer Gruppe, einem Stamm, einem Volk oder einer Nation kann er seiner Veranlagung gerecht werden und sich wohl fühlen. Das Miteinander der Menschen im Verbund bedarf einiger Mechanismen wie zum Beispiel einer gemeinsamen Sprache, einer gewachsenen kulturellen Dekoration eines verbindenden Ordnungssystems und eben auch einer Religionsgemeinschaft. So entwickelte jedes Volk seine eigene Sprache, seine eigene Kultur, seine eigenen Gesetze, sein eigenes Staatswesen und seine eigene Religion.“
„Stephan“, warf Efraim ein, „mir ist aufgefallen, dass du weitgehend das Wort ‚Glaube‘ vermeidest. Hat das einen bestimmten Grund?“
„Ehrlich gesagt“, entgegnete Stephan verschmitzt lächelnd, „habe ich auf diese Frage gewartet. Glauben heißt nicht wissen. Wissen, ebenso die Negation Nicht-Wissen sind rationale Leistungen. Wie ich
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