Manuskript des Teufels
mischen, es wird sich eine einheitliche Sprache entwickeln, Kulturen werden weltweit be- und geachtet und die Religionen werden über die Brücke der hochachtungsvollen Toleranz gehen und an der großen Müllhalde ihren unmenschlichen und fanatisch-fundamentalistischen Schrott der letzten Jahrtausende entsorgen.“
Die letzten Sätze hatte Kirschbaum wie in einem seherischen Trancezustand ohne Betonung und immer leiser werdend gesprochen. Es schien, als empfände er einen heiligen Respekt vor seinen eigenen Gedanken.
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D’Aubert erhob sich, schob den Tisch zur Seite, stellte sich vor Kirschbaum, legte seine Hände auf dessen Schultern und schaute ihm direkt in die Augen: „Mensch, mein Freund. Es kommt mir wie ein Wunder vor. Du sprichst genau das, was ich selbst verkünden wollte.“
„Wundert dich das, Stephan? Die Menschheit und ich haben doch keine andere Wahl als die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Nur hege ich Zweifel, ob die machtgeilen und selbstherrlichen Potentaten aus Politik und Kirche so ohne weiteres mitmachen werden.“
„Mit Sicherheit nicht. Aber die Geschichte und sogar das aktuelle Zeitgeschehen beweisen, dass das mündige Volk in der Lage ist, ihre unzeitgemäßen und unmenschlichen Denkmäler von jedem noch so hohen Sockel zu stürzen.“ Er setzte sich wieder.
„Worüber wir gerade gesprochen haben, ist ausführlich und wissenschaftlich begründet in meinem Manuskript dargestellt. Aber jetzt hör genau zu.“
„Nur zu, ich bin ganz Ohr.“
„Na, klar! Der eigentlich explosive Stoff meiner Schrift. Um es in knappen Worten zu sagen: Die Kirchen und Konfessionen dieser Welt werden von sich aus keine ideologische und strukturelle Revolution vornehmen. Auch dann nicht, wenn ihnen das Wasser bis zu Halse steht. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass ohne eine durchgreifende Religions-Revolution die Welt vor dem Abgrund steht. Genau deshalb propagiere ich den Aufstand, die Revolution der Gläubigen gegen das Kirchenregime.“
„Und wie soll das geschehen?“
„Der Zweck heiligt die Mittel.
Ich will ja nicht die Glaubensgemeinschaften und Kirchengemeinden abschaffen sondern ihre Strukturen ändern. Die Kirchen der Zukunft werden ihren Mitgliedern Freiräume anbieten, ihre individuelle Gott-Beziehung in der Gemeinschaft zu entfalten und zu leben. Saint-Exupéry kennst du ja sicher. Er hat gesagt: ‚Eine Gemeinschaft ist nicht die Summe von Interessen, sondern die Summe der Hingabe!“
„Stephan, als gläubiger Mensch, vor allem aber als Verleger bin ich fasziniert von dem, was ich da höre. Wenn ein erfahrener Genre-Kenner wie ich von einem Stoff begeistert ist, heißt das, dass bei einer Veröffentlichung mit einer Riesenauflage zu rechnen wäre. Aber Efraim“, schränkte Stephan ein, „bei einer Veröffentlichung meines Manuskriptes geht es nicht in erster Linie ums Geschäft. Hier geht es doch um viel mehr“. „Aber“, protestierte Efraim, “Du bist Gott und der Welt schuldig, die Ergebnisse deiner wissenschaftlichen Arbeit zu veröffentlichen. Die Zeit ist sogar überreif für einen alarmierenden Weckruf.“
„Und wer die Veröffentlichung verhindert“, fuhr er leidenschaftlich fort, „wird die Schuld dafür übernehmen müssen, dass immer mehr Hass und Elend über die Menschen hereinbricht, dass Diskriminierung, Mord und Totschlag, Krieg und damit Hunger und Elend die Welt erschüttern werden. Warum hast du nur diese unselige eidesstattliche Erklärung unterschrieben?“
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„Herr Professor“, meldete sich Efraim nach einer kurzen Denkpause mit gewichtiger Stimme und Schalk in den Augen zu Wort. „Kannst du dir vorstellen, dass ein so kleines Licht wie ich auch mal eine brillante Idee produzieren kann? Alexander der Große hat, dank seiner Genialität, mit seinem Schwert den als unlösbar geltenden Gordischen Knoten durchtrennt, um Herrscher von Asien zu werden. Stephan, hör genau zu. Ich glaube, ich habe eine Idee, dein Manuskript zu veröffentlichen, ohne dass du deinen Eid brechen musst.“
D’Aubert schaute ihn ungläubig an: „Und wie soll das funktionieren? Nun rück schon heraus mit dem Produkt deiner Gesetze verdrehenden Verschlagenheit.“
„Das Manuskript wurde von den Trappisten an einem geheimen Ort im Kloster Mariawald versteckt. Und du kennst dieses Versteck?“
Stephan nickte, ohne ein Wort zu sagen.
„Gut“, fuhr Kirschbaum fort. „Soweit ich mich erinnere, verbietet dir die notarielle Erklärung nicht, den Ort des Versteckes zu
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