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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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du bist, und siehst zu, was du sonst noch herausfinden kannst«, sagte Natalie.
    »Aber sobald ich zugebe, auch nur ein bisschen zu wissen, blasen sie mir das Hirn raus«, stellte er klar. Je mehr er daran dachte, desto mehr kam es ihm vor, als könnte er schon die Wunden spüren, die von der Kugel oder dem Messer verursacht wurden, wenn es so weit war. Bei dem Gedanken schlug sein Herz unregelmäßig.
    »Dann gib es eben nicht zu. Du hast es doch nicht mit Telepathen zu tun.« Sie hörte sich an, als glaubte sie wirklich, er könnte es schaffen, und lächelte ihn an.
    »Aber wenn ich alles für mich behalte, was nutzt es dann? Und was kann ich auf mich gestellt schon ausrichten?« Das fragte er sich schon eine ganze Weile. Als Antwort trat ihm White Horses totes Gesicht vor die Augen – du kannst Menschen in den Tod schicken. Er hätte sich schon vor Tagen Mary anvertrauen und sie um Hilfe bitten können. Das konnte er noch immer.
    »Das würde ich nicht tun«, sagte Natalie, die direkt ins Zentrum seines Geistes starrte, genauso, wie er es sich einmal vorgestellt hatte.
    Jude erwiderte ihren Blick und versuchte das Gleiche, doch entdeckte er außer ihren grau-grünen Augen überhaupt nichts.
    Ihre hübschen Regenbogenhäute waren an einigen Stellen fast smaragdgrün, an anderen rauchig wie marmoriertes Papier.
    »Mach dir nicht vor, du könntest sie einweihen, nur weil du müde bist«, warnte sie ihn und gähnte herzhaft. »Du kannst niemandem trauen.«
    Jude sah die leere Teeschachtel und die schwarzen Krümel auf dem weißen Teppich. Er konnte nicht glauben, dass Mary verantwortlich sein sollte, nicht allein aufgrund dieses Hinweises. So war sie nicht.
    »Sie wird versucht haben, mich zu finden«, sagte er, während er sich vorsichtig verschob, um eine bequemere Lage zu finden, doch das Bett war klumpig und so rau wie ein wilder Hund. »Sie ist nicht dumm. Genauer gesagt, ist sie so ziemlich die verschlagenste, misstrauischste Frau, die ich kenne. Andere Menschen schätzt sie für gewöhnlich genau richtig ein. Zumindest die Sorte, mit denen wir es zu tun bekommen.«
    »Und sie ist deine engste Freundin«, sagte Natalie mit einer merkwürdigen Miene irgendwo zwischen Neid und Vorsicht, die einzuordnen ihm nicht gelang. »Deshalb möchtest du sie nicht mit hineinziehen.« Sie hielt kurz inne. »Du liebst sie.«
    »Es geht dich nichts an«, sagte er steif. Schlag die Tür zu, Jude. Gut so. Genau so steht’s im dicken Buch über die Etikette fürs Bumsen nach der Trauer. Mensch, das klingt ja fast, als würdest du es wirklich so empfinden.
    »O doch«, erwiderte Natalie. »Außer Dan bist du der einzige Mensch auf der Welt, der mich je meinen ganzen selbstmitleidigen Kram hervorsprudeln lässt und mich dann dafür durch den Kakao zieht. Vielleicht stecke ich wegen Dan noch so tief in der Krise, dass ich jetzt bloß gummiüberzogene Verzweiflungsworte von mir gebe, aber für mich bist du mehr als nur ein Freund, und deshalb lasse ich dich nicht vom Haken.«
    Jude drehte den Kopf und blickte ihr ins Gesicht, suchte darin nach Spott oder Anzeichen für den Versuch, ihn zu manipulieren. Er musterte ihre elfenhaften Züge, streckte die Hand aus und berührte ihr Gesicht.
    »Meine Schwester hat sich tief in ihrem Innern immer als Dog Soldier gesehen«, sagte er. »Zäh, hart, wild. Alles für das Volk. Sie hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, und sie hing an den Traditionen. An ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag führte sie den Sonnentanz aus. Sie hängte sich mit ihrem gesamten Gewicht für zwölf Stunden an zwei Pflöcke in ihrer Brust, bis die Haut riss. Ich dachte, sie hätte völlig den Verstand verloren. Ich war damals gerade dem Marine Corps beigetreten. Es war, als … Ich habe ihr monatelang nicht einmal geschrieben. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Sie war so radikal. Es kam mir vor, als wäre sie ein anderer Mensch geworden.«
    Die Narben hatte sie selbst jetzt noch, im Leichenschauhaus; die Spieße fest verankert, zogen sie in den Tod …
    Jude schüttelte den Kopf. »Sie wusste, was sie sein wollte, auch wenn sie einen hohen Preis dafür zu zahlen hatte. Blieb zu Hause. Lebte jede Minute, wie es sich gehörte, nach ihren Regeln. Ich habe nie gewusst, was ich sein wollte, nur dass es genauso gut sein musste, damit ich ihr beweisen konnte, dass sie nicht die Einzige war, die es richtig machte. Sie sollte nicht das Recht haben, mich für zweitklassig zu halten, nur weil ich nicht das

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