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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Ihre Wut verhehlte sie kaum, und in der abwechslungslosen grauen Ebene ihres nachtragenden Starrens lag ein toter Junge auf einer Straße in der Stadt, die Arme ausgebreitet, die Augen aufgerissen, die purpurnen Lippen zu einem ewigen Schrei geöffnet.
    Natalie fuhr unwillkürlich vor ihr zurück. Sie spürte, wie ihr der Schreck das Gesicht lähmte. Lucy Desantos Gereiztheit schlug in Verletzung und Misstrauen um. Natalie blickte zu Boden und konzentrierte sich auf die Fliesen: grün und schwarz, zählen wir sie, eins, zwei … das war genauso schlimm wie in der Anstalt. Teufel, es war, als wäre sie jeder Insasse der Anstalt zugleich. Ein tiefer Atemzug, jetzt.
    Immer wieder hatte sie überlegt, wie viel Zeit man sparen könnte, wenn der Therapeut imstande wäre, direkt in den Kopf eines Patienten zu sehen und gleich zu erkennen, was ihm fehlte, ohne durch die zähflüssige, übellaunige Barriere aus Sprache waten zu müssen, die jede Verständigung unmöglich machen wollte. Nun jedoch wünschte sie sich, viel weniger zu wissen.
    »Hast du etwas?« Ihr Vater stand neben ihr, hielt sie und beschirmte sie vor den anderen.
    »Schon gut. Ich erlebe einige seltsame Folgeerscheinungen des Unfalls … nichts Ernstes.« Sie blinzelte, und die zusammengesetzten Bilder, die sie von allen empfangen hatte, verschwanden in ihr Gedächtnis, und ihr Blick auf die Gegenwart klärte sich. »Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich bei allen, weil sie ihr nichts ahnendes Inneres eingedrungen war. Sie empfand Dankbarkeit, dass die anderen nicht umgekehrt in sie hineinschauen konnten.
    Als Natalie ihrem Vater ins Gesicht sah, erkannte sie, dass er sich quälte, und ihr Herz machte einen Sprung. »Danke, dass du sie aufgehalten hast.«
    Er wusste, dass sie die Selfware meinte, die das Ministerium hätte weiterlaufen lassen. »Nicht früh genug«, flüsterte er rau und drückte ihre Finger in seinen Händen. »Und nicht ich war es, sondern Dan. Ihm musst du danken …«
    »O Gott, Dad. Dan ist tot«, sagte sie und schloss einen Moment die Augen.
    »Was?«
    Langsam und voller Trauer schilderte Natalie allen Anwesenden ihre Reise von der Klinik bis zur Ankunft in Fort Detrick und ließ vorerst nur weg, was mit Bobby und Jude zusammenhing.
    Eine Zeit lang herrschte Schweigen, während alle die Informationen aufnahmen. Nur das Geräusch der Lüftung und Kühlmotoren aus der Küche summte in dem engen Aufenthaltsraum. Natalie nahm neben ihrem Vater am Tisch Platz. Ihnen gegenüber setzte sich Kropotkin, der als Erster das Wort ergriff.
    »Also benutzen sie es schon.«
    »Die Programme sind schlecht kompiliert, noch schlechter geschrieben und laufen auf niedrigprozentigen, alten Versionen von NervePath«, sagte Natalie. »Ich weiß nicht, wo sie hergestellt worden sind, aber ich kann Ihnen eine Probe eines Systems zeigen.«
    Sie aktivierte ihr Pad, und Kropotkin schaltete es auf die Darstellungssysteme des Aufenthaltsraums – kein Bereich in der Anlage war ohne Möglichkeiten für konstruktive Gedanken. Alle sahen sie den Quelltext forschend durch, obwohl Khan und Desanto dafür nicht ausgebildet waren. Kropotkin steuerte über sein Pad den Zentralcomputer und erzeugte eine Bilddarstellung: das Funktionsdiagramm eines aktiven, stimulierten Gehirns. Das farbkodierte Bild trennte sich in dreidimensionale Segmente, sodass alle tieferen Strukturen erschienen.
    »Ist es das Deer-Ridge-Phänomen?«, fragte Khan.
    Natalie hatte nicht gewusst, dass die Neuigkeit schon heraus war, doch Guskow schien umfassend informiert zu sein.
    »Ja. Ich habe eine Löschroutine geschrieben, und sie wurde benutzt, um die Programmierung bei den Leuten aufzuheben, die letzte Woche die Wirkung zu spüren bekamen.«
    »Wie viele von denen haben überlebt?« Natalie bemerkte keinerlei Anzeichen für Vorwissen, die darauf hingedeutet hätten, dass er bei der Entscheidung über die Erprobung zu Rate gezogen worden wäre. Zumindest in dieser Hinsicht sprach er die Wahrheit.
    »Vierzehn von einundzwanzig. In Anbetracht der Umstände gar nicht schlecht.«
    »Dreizehn«, versetzte Natalie.
    Alles blickte sie an.
    »Die Frau, deren Haus von Martha Johnson, der Ladenbesitzerin, niedergebrannt wurde, ist infolge des Tests gestorben. Auch wenn sie vielleicht nicht direkt infiziert gewesen ist, haben damit nur dreizehn überlebt.«
    Guskow nickte. »In diesem Fall sollten wir auch die beiden mit dazurechnen, die von anderen ermordet wurden, während sie unter der Wirkung

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