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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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das zweite Glas aus. »Sie sagte, es handele sich um einen Versuch, eine Art Gerät zur Gedankenkontrolle zu bauen. Kein besonders guter Versuch. Sie wollte es melden, aber ich sagte, ich wäre bei einer kriminalpolizeilichen Ermittlung darauf gestoßen, und deshalb müssten wir Schweigen wahren, bis ich Verhaftungen vorgenommen hätte. Dabei haben wir es belassen.«
    »Wer war sie?« Nun trieb sie es auf die Spitze.
    »Eine Doktor Armstrong, ’ne Britin. Nostromo hatte sie als Expertin aufgeführt. Ich habe ihr die Datei zugesandt.«
    Zugesandt, nicht gebracht. War das entscheidend? Es war eine Art Lüge.
    »Aha. Na, wenn du sie momentan nicht mehr hast …«
    »Ich habe eine Kopie. Aber da sie kein Original ist und sie keinerlei Identifikations-Header trägt, beweist sie leider gar nichts«, gab er zu.
    »Kann ich eine Kopie haben?«
    Er sendete sie ihr ins Pad.
    »Und kann ich das heute Abend mit nach Hause nehmen, wenn du sowieso Ruhe brauchst?« Sie griff nach dem Dossier.
    »Sicher, bedien dich.« Er rief den Barkeeper. »Einen zum Nachspülen?«
    »Nein, danke.« Sie sah zu, wie er sich einen Wild Turkey bestellte, einen doppelten, und wie er ihn, als er gebracht wurde, auf einen Zug leerte. Selbst seine Bewegungen wurden rücksichtsloser. Aus Sorge sagte sie: »Übertreib es nicht. Du musst morgen früh raus.«
    »Ich will nur noch schlafen«, entgegnete er und stand auf, um zu gehen.
    Auf der Straße beschloss sie, ihn bis zu der Hauptstraße zu begleiten, die sie überqueren mussten. Dort wollte sie in ein Taxi steigen. Ihre Schuhe waren hart und begannen zu schmerzen. An der Ecke blieben sie im Licht der Straßenlaterne stehen, das fleckig war von den Bäumen, und verabschiedeten sich. Das Pflaster war uneben, und Jude schwankte. Er rutschte aus, und plötzlich standen sie viel dichter beisammen als beabsichtigt, aber er zog sich nicht wieder zurück, und sie auch nicht. Da sie groß war und hochhackige Schuhe trug, waren sie auf gleicher Augenhöhe.
    »Em«, sagte er leise – sie konnte sein Gesicht nicht richtig sehen. Diesen Spitznamen hatte er schon lange nicht mehr benutzt. Mary spürte, wie sein Atem ihr übers Gesicht strich. Er roch noch Bourbon. Jude legte ihr die Hände auf die Arme, als wolle er sie auf die Wange küssen wie schon so oft; stattdessen zögerte er und küsste sie plötzlich auf den Mund.
    Bevor ihr klar war, was sie tat, reagierte sie, berührte seine Zunge mit der ihren und schmiegte sich an ihn. Er zeigte genau jene Mischung aus hart und weich, aus Drängen und Empfänglichkeit, wie Mary sie am liebsten hatte. Die Bourbon-Spuren in seinem Mund schmeckten göttlich. Sie fragte sich gerade, was sie sich eigentlich dabei dachte, als er sie von sich schob und auf Armeslänge Abstand hielt.
    »Tut mir Leid!«, sagte er und rückte noch einen Schritt ab. »Sorry, Em. Ich wollte dich nicht … Das war ein Fehler. Der Alkohol. Wie dumm von mir.«
    »Nein, nein«, erwiderte sie fröhlich, albern. »Schon gut. Es ist okay. Mach dir deswegen keinen Kopf.« Auch sie trat einen Schritt zurück. Ihr Herz raste. Zwischen den Beinen spürte sie eine brennende Hitze, so wild, wie schon lange nicht mehr. Sie wich noch weiter zurück. »Denk nicht mehr dran.«
    »Scheiße. Tut mir echt Leid.« Er hob die Hand zu einem angedeuteten Abschiedswinken, während er immer noch unbeholfen zurückwich; jeder Schritt kündete von Verlegenheit und Verwundbarkeit. »Wir sehen uns. Okay?«
    »Okay«, sagte sie ruhig und sah ihm nach, als er sich rasch umdrehte und fortging, Kopf und Schultern gesenkt.
    Mary wartete, bis sie sich abgekühlt hatte, und ging dann nach Hause. Sie fühlte sich benommen und töricht. Was sollte das denn? Ihr Verstand nannte sie eine Närrin, doch ihr Herz jubelte. Ihr Wunsch, Jude mehr zu erzählen, war stärker, als zu wünschen sie je für möglich gehalten hätte.
    Das geht vorbei, sagte sie sich.
    Dann öffnete sie ihre Wohnungstür. Ein schwacher, Ekel erregender Gestank ließ sie auf der Schwelle zögern. Sie roch die Straße, doch im Geruch nach Benzin und feuchter Erde lag nichts Ungewöhnliches.
    Die Sensorpads zeigten an, dass kein Einbruchsversuch verübt worden war. Vermutlich hatte sie im Kühlschrank etwas vergessen, das nun verdorben war, oder ein Blumengesteck verwelkte. Sie ließ die Schuhe in der Diele und trottete durch die Wohnung, aber alles schien normal zu sein. Im Butterfach war eine alte Dose mit halb gegessenem Frischkäse, den sie nun in den Müll warf,

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