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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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konnte, wieder neu. Je verlockender und kräftiger sie erschien, desto schneller verbreitete sie sich auch, und umso tiefer war sie in der Köpfen der Menschen verankert, die sie bewohnte.
    Guskow hielt es darum für unmöglich, auf diese Weise auch nur eine, gleich welche Idee auszumerzen. Das wollte er auch gar nicht. Gerade diese Vielfalt durch Fremdbestäubung war es ja, die einem Gedanken gestattete, sich von einer Generation zur nächsten zu vererben. Nur dadurch konnte Wissen gesammelt werden, nur dadurch fand ein Fortschritt statt. Dieses Phänomen sorgte für das Gemeinschaftserlebnis, den man Zeitgeist nannte, und die simultane, voneinander isolierte Entwicklung der gleichen neuen Meme innerhalb kurzer Zeiträume. Je freieren Zugriff die Menschen auf den Global Cube besaßen, desto regelmäßiger kam es zu solch einem Ereignis.
    In jüngerer Zeit hatten die virulenteren Religionen und Kulturen ihre Ausprägungen des GC-Cube sehr erfolgreich ausgestreut; ihr jeweiliges Mappa Mundi war beliebt und allgemein verbreitet; einander direkt gegenübergestellt, erschienen die Religionen weit homogener als die unterschiedlichen älteren Versionen, die einer weniger kommunikativen Bevölkerung zugeflossen waren. Oder waren sie den Menschen aufgezwungen worden?
    Für Guskow war es Zwang gewesen. Den unaufhörlichen Cube-Krieg wollte er abschaffen, nicht das freie Denken. In allen Stadien seines Lebens hatte er aus erster Hand die kleinlichen, banalen, blutigen Kämpfe zwischen Menschen mit unterschiedlichen Mappae erlebt, mit unterschiedlichen Cubes. Worin der entscheidende Memeplex gerade bestand, war nicht mehr als ein Zufallsfaktor – eine Religion, eine nationale Identität, die Vorfahrt, ein gemeinsamer Gartenzaun, ein Wasserloch … die Liste hatte kein Ende, doch das Ergebnis, wenn widerstreitende Cubes aufeinander trafen, war immer das Gleiche.
    Mittlerweile existierte sogar eine Form der Mathematik, die er zusammen mit Isidore Goldfarb und Alicia Khan entwickelt hatte: die Memetische Analysis. Mit ihrer Hilfe ließ sich beschreiben und vorhersagen, was geschah, wenn eine gegebene Menge komplexer Ideen zum ersten Mal aufeinander stießen. Vier Entwicklungen waren möglich: Akzeptanz (Änderung der eigenen Karte gemäß der neuen Idee), Toleranz (keine Änderung, aber ein Eintrag der neuen Information in den alten Cube als eine Art nützlichen Beleg), Ablehnung (die Einstufung der neuen Karte als vollkommen fehlgeleitet, sodass man mit ihr nichts mehr zu tun haben möchte) und Vernichtungsversuch (die Auslöschung der Bedrohung, die von der neuen Karte ausgeht, indem man all ihre Träger tötet).
    Die beiden letzten Möglichkeiten verabscheute Guskow. Beide wurden durch Emotionen ausgelöst, die im eigenen Cube entstanden. Emotionen waren daher der Hauptschalter, an dem Mappaware ansetzen musste. Veränderte man das emotionale Bild eines Mems, veränderte man auch dessen Identität, ohne dass man kompliziert an den vielfach ineinander verflochtenen und verwickelten Anordnungen der Neuralmuster und des synaptischen Timings herumzupfuschen brauchte.
    Seine eigene Identität war immer eine Frage der Zweckmäßigkeit gewesen. Die meisten Menschen hätten sich den Veränderungen, die er gesucht und willig aufgenommen hatte, vehement widersetzt. Jedes Jahr starben Tausende, um ihr Identitätsgefühl zu schützen, obwohl sie ihre physische Existenz fortsetzen konnten, indem sie sich änderten. Das Konzept der eigenen Identität ist mit Vorstellungen von Ewigkeit, Unabänderlichkeit, Heiligkeit und Richtigkeit verknüpft. Vom Magersüchtigen bis zum Terroristen – die Legionen derer, die bereit sind, sich auslöschen zu lassen, um den Fortbestand ihrer Karten zu sichern, waren für Guskow ein Phänomen, eine nutzlose Vergeudung, die ihn erzürnte. Und solange das geheiligte Ich als Konzept angebetet wurde, das nicht verändert oder gar verbessert werden durfte, setzte sich die vergebliche Litanei von Folter und Elend, die damit einherging, notwendigerweise weiter fort.
    Guskow ließ den Blick über seine Mitarbeiter wandern, seine Weggefährten, seine Mitverschwörer. Er glaubte nicht, dass auch nur einer von ihnen trotz aller kommunikativen Anstrengungen die gleichen Ideen vertrat wie er. Einige Karten ließen sich nicht miteinander vereinbaren, ganz gleich, welche Mühe man sich damit gab. Doch wenigstens theoretisch zogen alle Anwesenden einstimmig einem fixierten Dogma ohne Raum für Veränderungen eine wandelbare

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