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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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wieder
nach Deutschland zu kommen. Er kannte Frankfurt und Berlin, jetzt
würde er Köln kennen lernen.
    Kusnezow reiste mit
leichtem Gepäck. Mehr als einen kleinen Koffer, mit dem er aus
der S-Bahn gestiegen war, die ihn vom Flughafen abgeholt hatte,
hatte er nicht dabei. Seinen Mantel trug er über dem Arm. Die
Adresse in der Kölner Altstadt, zu der er musste, hatte er im
Kopf.
    Es gab keinen Grund
zur Eile. Er hatte im Internet recherchiert, Karten studiert und
mit seinem alten Armeegewehr ein bisschen trainiert. Er war gut in
Form.
    Er schlenderte den
Bahnsteig entlang, während sein Blick weiter an dieser
filigranen und doch so beeindruckend starken Technik haftete, die
dieses Bahnhofsdach hielt. Fast wäre er über einen Mann
gestolpert, der in einer Reisetasche wühlte. Er stieß
mit seinem Knie in die Seite des Mannes.
    »Entschuldigung«,
sagte Kusnezow knapp.
    Höflich zu sein
fiel ihm nicht leicht. Dabei wusste er, dass er stets ein bisschen
freundlicher sein musste als andere. »Es sind deine Augen,
Asis«, hatte ihm seine Schwester ehrlich geantwortet, als er
sie einmal danach gefragt hatte, warum sich andere Menschen vor ihm
erschreckten. Augen ohne Farbe, wie die eines Todkranken oder eines
Mannes, der ohne Schlaf durchs Leben geht, in tiefen
Augenhöhlen. Auch der schlanke Mann im Trainingsanzug auf dem
Bahnsteig konnte seinem Blick nicht lange standhalten.
    »Macht
nichts«, murmelte er ängstlich auf Kusnezows
Entschuldigung. »Es geht schon. Vielleicht war's mein eigener
Fehler.«
    Kusnezow widersprach
nicht und machte stattdessen unbeholfen Anstalten, dem Mann
aufzuhelfen.
    »Ich habe in
meiner Tasche nach der Wegbeschreibung zu meinem Hotel
gesucht«, stammelte er.
    Der Russe nickte
nur.
    »Das Dorint. In
Deutz.«
    »Gehen Sie aus
dem Bahnhof, rechts am Dom vorbei. Dann können Sie zu
Fuß über Eisenbahnbrücke. Da ist Deutz. Dann immer
geradeaus bis zu großer Kreuzung, da links. Da ist Hotel
Dorint.«
    Der Mann sah
entgeistert zu Kusnezow herauf. Er versuchte das Lächeln des
großen, breitschultrigen Mannes zu erwidern. Kusnezow freute
sich, hatte er doch gerade einem Fremden den Weg durch eine Stadt
erklärt, in der er bislang nichts gesehen hatte als dieses
tolle Bahnhofsdach.
    »Danke«,
murmelte der Mann.
    »Sie laufen den
Marathon?«, überraschte Kusnezow den Mann ein weiteres
Mal.
    »Ich habe mich
angemeldet.«
    »Dann, ich
wünsche, viel Glück.«
    Der Russe folgte den
Schildern zum Ausgang Domplatte. Wieder faszinierte ihn der Anblick
von Glasfenstern. Hinter den Fenstern der Eingangshalle zum Bahnhof
wuchs mit jedem Schritt, den er auf den Ausgang zumachte,
majestätisch der Dom empor.
    Was für eine
Begrüßung! Doch die Freude sollte schnell der
Enttäuschung weichen. Als er den Bahnhof verließ,
umbrandete ihn ohrenbetäubender Lärm. Es traf ihn nicht
unvorbereitet. Die Stadt hatte die Touristen im Internet gewarnt:
In Köln wurde zurzeit sehr viel gebaut.
    Kusnezow strich sich
durch sein glattes dunkles Haar und zog durch den Baustellenstaub
über eine Behelfstreppe zur Domplatte, wo ihn ein buntes
Treiben von Touristen, Demonstranten, Bettlern, ein paar
Straßenmalern und einer ganz offensichtlich aus seiner Heimat
stammenden Musikantengruppe erwartete. Drei Jungs, die im wilden
Westen ihr Glück mit drei Musikstücken suchten, die sie
alle zehn Minuten wiederholten. Sie hämmerten Bachs Toccata
und Fuge in d-Moll, das vielleicht am häufigsten missbrauchte
Stück der Musikgeschichte, in die Tasten ihrer Akkordeons.
Kusnezow hatte Spaß. Noch mehr als die Spielkunst gefiel
Kusnezow, wie einfach es war, den Passanten die Euros aus der
Tasche zu ziehen. Folklore wurde mit Euros belohnt, die dumme,
reiche Japaner und Chinesen in einen Hut warfen. So funktioniert
das System hier, wusste er.
    Asis Kusnezow mochte
die Städte im Westen. Sie waren schön, sauber und
gepflegt. Voller Trubel, wenig Elend auf der Straße. Er
schätzte die Art, wie sich Europäer anzogen, die etwas
auf sich hielten. Sie entsprachen seinen Vorstellungen davon, wie
man auszusehen hatte. Sauber und ordentlich eben, mit ein bisschen
Stil und Eleganz.
    Umso mehr
enttäuschten ihn dann diese hässlichen Jugendlichen, die
sich von der Domplatte aus durch die Hohe Straße
schlängelten. Übergewichtige Pickelgesichter mit
knallbunten Klamotten, schlimmstenfalls schwabbelte trotz der
niedrigen Temperaturen ein Bauch über der Hose. Das konnte man
auch in Moskau oder Petersburg sehen. Wo kam solch

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