Marathon
auf
die Kleidung des Mannes, die einmal eine andere Farbe gehabt haben
musste. Der Mann ohne Schuhe und Strümpfe trug einen Pyjama,
der sich von seinem Blut braun gefärbt hatte.
13
»Gehen wir
rein?«, fragte Gröber seine Kollegin, die neben dem
Eingang des Industriehofs in der Bismarckstraße in das
Schaufenster eines Fahrradgeschäfts
schaute.
»Was ist das
hier?«, fragte Remmer zurück und deutete auf ein
seltsames Gefährt in der Auslage. Eine Mischung aus
überdachter Seifenkiste, Zwei-Mann-Zelt und buntem Kinderwagen
wurde da für einen unglaublichen Preis feilgeboten. Ihr
Kollege sah nicht gewillt aus, so früh am Morgen
irgendwelche Gespräche über Angebote von
Fahrradgeschäften zu führen. Sie konnte dagegen zu jeder
Tages- und Nachtzeit Schaufenster begucken. Das war völlig aus
der Mode gekommen, fand sie. Früher, da war man Samstag oder
Sonntag in feinen Klamotten zum Bummeln losgegangen, obwohl die
Geschäfte geschlossen hatten. Warum tat das heute keiner
mehr?
Gröber stampfte
ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
»Vorgestern habe
ich Brillen auf Heu gesehen. Da musste ein Einzelhändler
dieser Stadt sehr verzweifelt gewesen sein.«
»Gehen wir jetzt
rein?«, drängelte Gröber.
»Erst wenn du
mir erklärt hast, wozu das gut ist.«
»Das ist ein
Kinderwagen, mit dem man laufen kann. Also schnell laufen kann,
verstehst du. Da kannst du zwei Kinder reinpacken und dann mit
ihnen durch den Park oder Wald joggen. Und wenn du keine Lust zum
Laufen hast, hängst du das Ding als Anhänger an dein
Fahrrad.«
Er hatte Muskelkater.
Seine Knochen taten ihm weh wie lange nicht mehr, obwohl er eine
halbe Flasche Franzbranntwein über seine Beine geschüttet
hatte.
»Warum sollte
ich mit zwei Kindern durch den Park joggen?«
»Weiß ich
nicht. Es gibt Leute, die tun so was. Wirst du beim Marathon sehen.
Da gibt es auch immer ein paar, die mit ihren Kindern
laufen.«
»Leute? Oder
Männer?«
»Weiß
nicht«, antwortete Gröber. Er konnte sich beim besten
Willen nicht erinnern, jemals eine Frau mit so einem Kinderwagen
laufen gesehen zu haben.
Remmer schüttelte
den Kopf. Wieder was gelernt über die Zeit, in der sie lebten.
Wortlos ließ sie das Schaufenster zurück und ging unter
der Durchfahrt in den Hinterhof des Hauses nebenan.
»Wohnen und
arbeiten, Showrooms available«, stand auf einem gelben
Plastikschild, das Interessenten in den Hof locken sollte.
»Flächen ab hundertfünfzig Quadratmetern nach
Mieterwünschen in ehemaligem Industriehof mit
Loftcharakter.«
»Klingt
gut«, meinte Gröber. »Hier hätte ich gerne
mein Büro.«
Als sie sich den
Kollegen, einem völlig verstörten türkischen
Mitbürger und der Leiche näherten, hatten sie beide
dasselbe ungute Gefühl. Zwei Leichen mit Stichverletzungen in
drei Tagen, die Fundorte, die in beiden Fällen nicht die
Tatorte waren, waren nicht weit voneinander entfernt. Das konnte
nichts Gutes bedeuten. Ein bisschen Hoffnung kam auf, als ihnen
Schmallenberg die Orte der Stichverletzungen mitteilte: kein Loch
im Hals, dafür vier Stiche in den Körper, davon einer ins
Herz.
»Der Täter
hat die Klinge in der Wunde gedreht, damit das Opfer viel Blut
verliert«, berichtete der Pathologe. Das sprach dafür,
dass es sich doch um denselben Täter handeln
könnte.
»Wir haben
Papiere gefunden«, sagte Berger von der Spurensicherung.
»Einen Ausweis und einen Führerschein. Der Tote
heißt Klaus Leuschen, ist letzten Monat vierzig geworden und
wohnt in Bayenthal.«
»Was soll der
Mist?«, fluchte Remmer. »Warum lässt er die Leute
nicht da liegen, wo er sie ersticht? Was ist das für eine
Hausnummer hier?«
»Sechzig«,
antwortete Berger mit verständnisloser Miene.
»Nur falls wir
wieder eine Zahl an der Wand finden«, murmelte sie.
»Habt ihr auch einen Wohnungsschlüssel
gefunden?«
»Leider
nicht.«
Remmer ließ sich
die Adresse des Toten geben, zwinkerte Schmallenberg zu und drehte
sich um.
»Willst du nicht
auf uns warten?«, fragte Berger. »Dann kommen wir
gleich mit. Wir brauchen noch ein paar Minuten hier. Außerdem
läuft noch eine Recherche im Computer über den
Toten.«
Die Hauptkommissarin
hörte nicht mehr zu, rief Gröber, der sich noch mit Ferzi
Yükel befasste, und stöckelte zurück auf die
Straße. »Die Besetzer« stand auf dem Schaufenster
auf der anderen Seite der Einfahrt. Unter normalen Umständen
hätte sie das sehr interessiert. Eine Casting-Agentur hatte
sich in dem Laden eingenistet, das
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