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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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hoch. Er hatte sich getäuscht, eine
Situation falsch eingeschätzt und unprofessionell reagiert. Es
war weniger das Unrecht, das er dem Jungen zugefügt hatte,
über das er sich ärgerte. Noch nicht einmal die
Täuschung, der er auf den Leim gegangen war. Er hatte seine
Gefühle nicht im Griff gehabt.
    Er atmete tief durch,
bevor er den Jungen nach der Summe fragte, die ihm die Diebin
gestohlen hatte. Der Junge sah ihn verwundert an, als Kusnezow
seine Geldbörse aus der Hosentasche zog.
    »Was sie dir
gestohlen?«, wiederholte er seine Frage.
    Der Junge beruhigte
sich langsam und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Vielleicht zwanzig Euro. Ich weiß nicht genau, wie
viel noch im Portemonnaie war.«
    Kusnezow gab ihm
wortlos einen Fünfzigeuroschein. Das fiel ihm leichter, als
sich zu entschuldigen. Er drehte sich um und ließ den
verdutzten Jungen und seine Freunde im Schatten des Denkmals
stehen.
    Er hatte sich dumm
verhalten. Wie ein kleiner dummer Junge. Er wusste, dass er
schlauer als die meisten der Soldaten war, die sich in den Kasernen
im Kaukasus gegenseitig verprügelten oder gar totschlugen. Das
waren die, die nach ihrer Rückkehr Bremsflüssigkeit oder
Eau de Cologne tranken, weil das Geld für den Wodka nicht mehr
reichen würde. Eau de Cologne - das war witzig, dass ihm das
gerade hier einfiel in der Stadt, wo dieses Zeug erfunden worden
war.
    Anstatt sich
aufzugeben, war er im Training geblieben, hatte Englisch gelernt
und sein Deutsch aufgefrischt. Nach zwei Monaten hatte er den
ersten Auftrag angenommen und zu aller Zufriedenheit
erfüllt.
    Als er vor der kleinen
Szene-Bar in der Altstadt stand, die sich hinter der Adresse
verbarg, die man ihm genannt hatte, musste er sich trotz aller
Professionalität überwinden, durch die Tür zu gehen.
Er fand die ganze schwule Szene widerlich.
    Hinter dem Tresen
stand zu seiner Überraschung ein ganz normaler Mensch. Er
setzte sich auf einen Barhocker und bestellte einen Kaffee. Es war
wenig los in dem Schuppen zu dieser Tageszeit. Ein schwules
Pärchen trank Kaffee an einem kleinen Tisch, ein Englisch
sprechendes Hetero-Paar aß an der Bar etwas, das wie ein
belegtes Sandwich aussah.
    Als er die Kaffeetasse
ausgetrunken hatte, winkte er den Ober zu sich.
    »Noch einen
Kaffee?«, fragte der Mann freundlich.
    »Später«,
antwortete Kusnezow. »Bring mir die Tasche.«
    Der Mann verstand
nicht gleich. »Eine Tasche? Für dich, mein
süßer Großer?«
    Kusnezow griff
über den Tresen, packte den Kellner im Nacken und zog ihn zu
sich. Das Touristenpaar schien das nicht verwunderlich zu
finden.
    »Trotzki. Leo
Trotzki. Die Tasche«, zischte er dem Kellner ins
Ohr.
    Was für eine
alberne Idee, Trotzki als Codenamen auszuwählen. Diesen
senilen Vollidioten, der sich von Stalin umlegen ließ. Der
Kellner wich zurück und verschwand in einem kleinen Raum
hinter der Bar. Zurück kam er mit einer schwarzen Sporttasche,
die er Kusnezow umständlich über den Tresen
reichte.
    »Bitte, Herr
Trotzki«, flüsterte der Barmann. Er fand diesen
Codenamen offensichtlich äußerst
amüsant.
    »Jetzt ein
Bier«, sagte der Russe und setzte sich mit der Tasche an
einen der vielen freien Tische. Er öffnete die Vortasche, in
der er einen kleinen Zettel mit der Anschrift seines Hotels fand.
Er musste lachen, als er sie las. Auf seinen Namen sei ein Zimmer
im Deutzer Dorint Hotel reserviert, stand da. Er zog den
Reißverschluss des Hauptfachs der Tasche auf. Ein kleiner
Spalt reichte, um den Lauf der zerlegten Waffe zu sehen. Sie lag in
ihren Einzelteilen auf einem dicken braunen Briefumschlag, in dem
Kusnezow die Informationen vermutete, die er noch brauchte. Er
kannte den Namen und das Gesicht seines Opfers noch nicht. Daneben
fand er ein Lederetui, in dem sich wie bestellt ein breites
Nahkampfmesser befand.
    »Zum
Wohl«, sagte der Ober, als er das Kölsch auf den Tisch
stellte. Kusnezow trank das kleine Glas in einem Zug aus. Das Spiel
konnte beginnen.

16
    Christina und Klaus
Leuschen waren seit vier Jahren verheiratet, seit zwei Jahren
wohnten sie zur Miete in der kleinen Bayenthaler Villa. Die Frau
war sechsunddreißig Jahre alt, arbeitete genau wie ihr Mann in einem
großen Kölner Zeitschriften-Verlag. Dort hatten sie sich
vor sechs Jahren kennen und lieben gelernt. Nachdem es bei einer
Nubbelverbrennung des »Lapidariums«, einer Kneipe am
Eigelstein, gefunkt hatte, beschlossen sie, dass Aschermittwoch
nicht alles vorbei sein sollte. Zwei Jahre später heirateten
sie.

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