Marathon
die Hüften lag er auf dem Bett. Neben sich das
zusammengesetzte Gewehr. Es entsprach exakt seinen Wünschen,
zweckmäßig, präzise und ohne unnötigen Schnickschnack wie
Laserentfernungsmesser oder Schalldämpfer. Nur einen
Restlichtverstärker hatte er für den Fall von schlechtem
Wetter verlangt. Es sah so aus, dass er ihn brauchen würde. Er
strich mit der Linken über den Lauf des Repetiergewehrs.
Schaftlänge und Wangenauflage waren durch Knopfdruck
verstellbar. Das Zielfernrohr kam wie gewünscht von einem
anderen Hersteller. Es ermöglichte eine zwölffache
Vergrößerung des Ziels und eine Entfernungseinstellung
bis zu tausendeinhundert Metern. Bis zu sechshundert Metern konnte
er von einer hundertprozentigen Trefferwahrscheinlichkeit ausgehen.
Erst ab achthundert Metern würde er unter Umständen eine
zweite Patrone aus dem Fünf-Schuss-Magazin
brauchen.
Auf seinem Bauch lag
der geöffnete, große Briefumschlag mit allen
Instruktionen, die er noch brauchte. Er studierte den Plan des
Marathons, der am Sonntag unweit seines Hotels Tausende anlocken
würde. Die Strecke zog sich von Deutz über die
Brücke durch die Innenstadt mit kleinen Abstechern in
angrenzende Stadtteile. Er hatte wenig Verständnis für
dieses seltsame Hobby, freiwillig über zweiundvierzig
Kilometer durch eine Stadt zu rennen. Woher nahmen die Leute diesen
Ehrgeiz? Und was bekamen Sie dafür?
Laufen eigentlich
Russen Marathon? Spontan fiel ihm kein Name eines russischen
Sportlers ein, der bei Marathon-Wettkämpfen mitgemacht
hätte. Unsere Marathonläufer sind in
Tschetschenien.
Wer die Distanz nicht
schaffte, desertierte. Rund zweihundertfünfzig Rekruten,
hieß es, würden jeden Monat ihre Einheit widerrechtlich
verlassen. Die meisten von ihnen waren im Kaukasus stationiert.
Nicht wenige von ihnen gingen, indem sie auf ihrer Flucht ein
Blutbad anrichteten. Wachposten wurden erschossen, Kameraden, mit
denen man eine Rechnung offen hatte, zum Abschied erstochen oder
Polizisten mit der Maschinenpistole niedergemäht, die
Flüchtige wieder einfangen wollten. Das alles kam vor.
Natürlich nicht öffentlich.
Kusnezow war froh,
diesen Teil der Welt und seines Lebens weit hinter sich gelassen zu
haben. Es war nicht so sehr sein Job als Scharfschütze an jenem
Ende der Welt, der ihn fertig gemacht hatte. Es waren die anderen
Soldaten, die um ihn herum immer mehr verwahrlosten. Menschen
wurden zu wilden Tieren ohne Anstand. Sie kannten nur noch
Töten und In-die-Luft-jagen. Der Rest war nach spätestens
vier Wochen verlernt.
Auch Kusnezow konnte
töten. Besser als fast alle anderen. Mit dem Messer, mit dem
Gewehr, aus jeder Lage. Dieser Auftrag war etwas Besonderes, ohne
Frage. Kein einfacher Mord, wo man irgendwo reingeht, zwei, drei
Mal abdrückt und wieder rausgeht. Sein Auftraggeber verlangte
eine Inszenierung, ein öffentliches Fanal. Er wollte mit einem
Bekenntnis Aufsehen erregen, und Kusnezow war derjenige, den er
dazu brauchte.
Kusnezow wusste so gut
wie nichts über den Auftraggeber. Er konnte sich noch nicht
einmal sicher sein, ob er es mit einem Mann oder einer Frau zu tun
hatte. Was er wusste, deutete auf einen Racheakt hin. Warum sonst
dieses öffentliche Aufsehen? Das klang für ihn eher nach
einer Frau, die über seinen Kontaktmann in Moskau seine
Dienste angefordert haben musste. Zehntausend Euro hatte er
für die Reise, das Hotel und als Vorschuss bekommen. Der Rest
würde nach Erledigung des Auftrags als Spende an das
Kinderkrankenhaus in Bukarest überwiesen werden. Ein
völlig diskreter und ruhiger Weg, um zumindest an einen Teil
seines Honorars zu kommen. Ein nicht unerheblicher Teil der
neunzigtausend Euro würde in Bukarest und Moskau hängen
bleiben, damit die kleine Bürokratie zur Vermittlung der
besonderen Dienstleistungen wie geschmiert funktionieren konnte.
Obwohl Kusnezow mittlerweile ein wenig in der Welt herumgekommen
war, hatte er keine Ahnung, ob hunderttausend Euro, von denen ihm
nach Abzügen aller Spesen und Verwaltungskosten weniger als
die Hälfte blieb, für das, was er tat, angemessen
waren.
Schade, dass der
Marathon nicht mehr am Dom endet, dachte Kusnezow und warf den
Streckenplan auf den Boden. Er stand auf, zerlegte blitzschnell das
Gewehr in seine wenigen Einzelteile und verstaute es wieder in der
Tasche, die er in der Schwulen-Bar bekommen hatte. Nachdem er sie
ohne besondere Vorsicht in den Kleiderschrank geworfen hatte,
pflückte er den blütenweißen Bademantel vom Haken.
Zeit für ein
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