Marathon
gesagt? Haben die beiden miteinander
gesprochen?«
Er sah aus dem Fenster
auf die Dächer der Südstadt. Minutenlang stand er da und
sah dem Tag zu, wie er Platz für die Nacht machte.
»Nichts«,
flüsterte plötzlich eine schwache Stimme hinter ihm.
»Nichts hat er gesagt.«
Gröber
schöpfte Hoffnung. Christina Leuschen sprach.
»Wer hat nichts
gesagt? Ihr Mann?«
Sie nickte.
»Und der andere
Mann? Hat der etwas gesagt?«
»Er hat ihn
begrüßt.« Ihre Stimme zitterte.
»Er hat
was?«, fragte Gröber ungläubig, während er
langsam zurück zum Stuhl ging.
Sie nickte nur zur
Bestätigung.
»Haben Sie ihn
gesehen?«
Sie schüttelte
den Kopf.
»Es ging alles
so schnell, viel zu schnell. Und danach dauerte alles viel zu
lange. Es hörte nicht auf«, flüsterte sie. Das
Reden bereitete ihr Schmerzen.
Gröber setzte
sich und nahm vorsichtig ihre Hand. Wortlos ermunterte er sie
weiterzusprechen. Sie zögerte, starrte wieder regungslos an
die Decke.
»Als ich wach
wurde, saß der Mann auf meinem Rücken und drückte
meinen Kopf in das Kissen. Ich wusste nicht, was geschah. Noch
bevor ich schreien konnte, hatte ich dieses Tuch im
Mund.«
Gröber sah ihr
an, dass sie in Gedanken noch einmal erlebte, wie der Mann sie
gefesselt hatte.
»Ich konnte mich
keinen Millimeter bewegen. Das hat Sekunden
gedauert.«
Es war klar, dass man
für solche Kunstfertigkeit trainieren musste.
»Dann hat er von
mir abgelassen. Ich konnte nicht sehen, was er gemacht
hat.«
Tränen schossen
ihr in die Augen, dann drehte sie ihm unvermittelt das Gesicht
zu.
»Was hat er
gemacht?«, fragte sie leise.
»Sie wissen
es«, antwortete Gröber, ohne die Hand
loszulassen.
Sie atmete
schwer.
»Er war bestimmt
drei Stunden da. Er ist ein paar Mal aus dem Zimmer gegangen, aber
immer nur kurz. Die meiste Zeit hat er einfach nur dagestanden und
gewartet. Ich habe ihn gespürt, nur seinen Atem gehört.
Ich hatte fürchterliche Angst.«
»Was war mit
Ihrem Mann, als Sie gefesselt wurden?«, fragte Gröber
vorsichtig. »Da muss er doch wach geworden
sein.«
Ihre Hände
krallten sich ins Bettlaken.
»Ich weiß
es nicht. Vielleicht hat er ihn betäubt oder so was.
Vielleicht ohnmächtig geschlagen. Ich habe es nicht
mitbekommen.«
Sie drehte den Kopf
zurück und richtete ihren Blick wieder an die weiße
Zimmerdecke. Gröber ließ sie nicht los.
»Was ist nach
den drei Stunden passiert?«
»Er hat Klaus
aus dem Zimmer getragen. Ich weiß nicht,
wie.«
Gröber ließ
seinen Blick durch das kahle Krankenzimmer schweifen. Warum gab es
niemanden, der dieser armen Frau ein paar Blumen ins Zimmer
stellte?
»Ich werde Sie
gleich allein lassen, Frau Leuschen«, flüsterte er.
»Nur noch eine Frage: Kennen Sie einen Frank
Vosskamp?«
Er stand auf und
beugte sich über das Bett der Frau.
»Wir haben ihn
vorgestern hier ganz in der Nähe gefunden. Vielleicht haben
Sie sein Bild in der Zeitung gesehen? Er starb wie Ihr
Mann.«
Ein leichtes Zucken
schien durch den kraftlosen Körper der Frau zu gehen, als er
von dem Bild in der Zeitung gesprochen hatte. Sie ließ sich
Zeit mit der Antwort.
»Ich weiß
nicht«, sagte sie so leise, dass man es kaum verstehen
konnte.
»Was heißt
das? Sagt Ihnen der Name was?« Gröber wurde ein wenig
energischer.
»Mir sagt der
Name nichts. Aber gestern Morgen …«
»Ja?«
»Klaus war
anders als sonst. Er hat sein Frühstück stehen lassen. Er
war irgendwie erschrocken, als er die Zeitung durchgeblättert
hatte.«
»Hat er was
gesagt?«
»Nein.«
»Haben Sie
danach gefragt?«
Christina Leuschen
antwortete nicht mehr. Sie schloss ihre feuchten Augen. Tränen
flössen ihr über die blassen Wangen.
»Hat er in der
Zeitung von dem Tod eines Bekannten gelesen?«, fragte
Gröber, ohne weiter Rücksicht zu nehmen.
Sie reagierte nicht
mehr. Er suchte noch einmal den Blickkontakt mit der Frau des
Ermordeten, doch er sah nur völlig leere Augen, die
geistesabwesend ins Krankenzimmer blickten. Er gab auf, nickte und
verließ grußlos den Raum.
Draußen wehte
ihm der Geruch von Desinfektionsmitteln in die Nase, als ein dicker
Mann mit einem Blumenstrauß an ihm vorbeiging. Er nahm sich
vor, beim nächsten Besuch auch ein paar Blumen zu kaufen. Der
Rücken tat ihm weh. Wie lange hatte er jetzt hier gesessen?
Zwei Stunden, drei Stunden? Er suchte vergeblich eine Uhr im
Krankenhausflur, bevor er auf sein Handy schaute.
»Zweieinhalb
Stunden für ein äußerst mageres Ergebnis«,
seufzte er.
Insgeheim hatte
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