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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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Hause besucht und dabei so gut wie nichts gefunden. Remmer hatte
sich keine Mühe mehr gegeben, die Souveränität und
Gelassenheit einer Chefin auszustrahlen, während sie auf
Strümpfen durchs Büro getigert war.
    Den spitzen Schrei von
Chrischilles hatten alle als Erlösung empfunden.
    »Ich habe ihn,
ich habe ihn!«, brüllte Chrischilles durchs Büro,
genau in dem Moment, als Bernd Gröber vom Krankenhaus
zurückkehrte.
    Vor ihr lag ein
Fotoalbum von Vosskamp. Davor ein Jugendbild von Leuschen. Remmer
stürmte um den Tisch, Gröber stürzte
dazu.
    »Da ist
er!« Sie tippte mit ihren glitzernden Fingernägeln auf
ein Foto, das eine Gruppe Jugendlicher zeigte. »Ein
Geburtstag, glaube ich.«
    Zehn junge Leute
standen in einem Wohnzimmer herum, verkleidet in der seltsamen Mode
aus der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Menschen mit
Frisuren aus einer grauen Vorzeit, Lederarmbändern,
Silberkettchen und unförmigen weiten Pullovern über
Hemden mit kleinen Kragen standen um eine schmale Frau in einem
braunen, sackähnlichen, ärmellosen Trägershirt, die
einen Kuchen mit ein paar Kerzen ins Zimmer gebracht hatte. Einer
der Pulloverträger war ohne Zweifel Frank Vosskamp. Vielleicht
war er das Geburtstagskind. Rechts neben ihm stand ein junger Mann
mit gestreiftem, dunklem Hemd und schulterlangen Haaren. Man musste
genauer hinschauen und ihn mit den Bildern aus den anderen Alben
vergleichen. Es war Klaus Leuschen.
    »Gibt's da noch
mehr Bilder von dieser Party?«, fragte
Gröber.
    Chrischilles schlug
die Seite um. Die weiteren Bilder dokumentierten, wie der Kuchen
gegessen wurde. Dazu trank man Bier. Alle schienen bestens gelaunt.
Leuschen war auf einem Bild zu sehen, wie er sich ein riesiges
Stück Torte in den Mund schob. Seine Nachbarn amüsierten
sich. Ein weiteres Foto zeigte, wie Vosskamp, Leuschen, ein anderer
Mann und eine Frau lauthals sangen. Vosskamp spielte
Luftgitarre.
    »Macht einen
fröhlichen Eindruck, unser Langweiler«, sagte
Gröber. »Da gab's noch was zu feiern.«
    »Die guten
Achtziger«, spottete Remmer. »Haschisch rauchen, Pornos
gucken und dann nach Bonn, um gegen die Raketennachrüstung zu
protestieren.«
    »Na und?«,
sprach einer der umstehenden Polizisten aus, was Gröber
dachte. Für eine wie Remmer mussten die Achtziger das
belangloseste Jahrzehnt der Zeitgeschichte gewesen sein. Für
seine Generation war es aufregend und spannend.
    Mittlerweile hatten
sich alle anwesenden Mitglieder der Kommission um den Tisch
versammelt.
    »Wir müssen
wissen, wo das ist und wer die anderen Leute sind«, gab
Remmer die weitere Losung für alle aus. »Jeder bekommt
Kopien von den Fotos. Einer fährt zur Mutter von Vosskamp,
einer zur Schwester. Kennen wir Klassenkameraden? Schulfreunde?
Zeigt ihnen die Bilder. Ich will wissen, wer das
ist!«
    Sie hatten eine Spur.
Eine kleine zumindest. Eine Verbindung zwischen den Opfern, die
sich vor etwas über zwanzig Jahren gekannt haben mussten. So
gut, dass sie gemeinsam Geburtstag in einem überschaubaren
Kreis feierten.
    »Die
Zweiundzwanzig«, rief Gröber. »Zwei runde
Geburtstage in diesem Jahr. Vierzig minus zweiundzwanzig ist
achtzehn. Und auf den Fotos sehen wir den achtzehnten Geburtstag
von Vosskamp. Da wette ich drauf.«
    »Hör auf
mit den Scheißzahlen«, fluchte Remmer, während sie
die Bilder aus dem Album riss und Chrischilles in die Hand
drückte. »Kopien machen, zack, zack.«
    Erst jetzt richtete
sie ihren Blick auf die umstehenden Kollegen. Sie sah in
äußerst müde Gesichter. Alle hatten auf ihr
»Morgen ist auch noch ein Tag« gewartet, stattdessen
mussten sie nun noch ein paar weitere Überstunden
schieben.
    »Sollen wir
heute Abend noch raus zu den Leuten?«, wagte einer der
Kollegen leise zu fragen.
    »Wir treffen uns
morgen früh um halb neun hier«, sagte Remmer, um dann
die Erleichterung, die sich breit machte, sofort wieder
wegzuwischen. »Bis dahin kennen wir alle Namen von dieser
Feier, verstanden?«
    Michaela Chrischilles
bekam den schlechtesten aller Jobs. Sie musste im Büro am
Telefon sitzen bleiben und darauf warten, welche Namen die Kollegen
durchgaben, die sich alle bekannten Adressen von Verwandten und
Bekannten der Toten aufgeteilt hatten. Sie würde erst nach
Hause gehen können, wenn sie neben jeder Person auf den
Bildern einen Namen und eine aktuelle Adresse geschrieben
hatte.   
    Gröber und Remmer
zogen sich in ihr Büro zurück.
    »Zwei Morde in
vier Tagen«, stöhnte Remmer. »Ich habe kein

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