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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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Schönes Leben. Aber mit Stil
geführt.
    Die Kellnerin brachte
sein Agnello alla pugliese und stellte einen Loup de mer mit
Oliven, Knoblauch und Kapern vor den leeren Stuhl seiner Frau. Er
ließ seine Nase über dem großen Teller, dem
saftigen, rotbraunen Stück Lammbraten kreisen. Zwei Scheiben
dieses duftenden Fleisches lagen neben fein geschnittenem
Kartoffelgratin, eingehüllt in eine wunderbare
Petersilienpaste mit frischem geriebenen Pecorino. Er wartete
nicht, bis seine Noch-Gattin vom Klo zurückgekehrt war, und
fing an, den zweiten Akt des Abends zu genießen. Das Fleisch
zerging auf der Zunge.
    »Schön,
dass du gewartet hast«, zischte sie, als sie sich wieder
setzte.
    »Kein
Problem«, gab er zurück, als sie begann, sich ihren Loup
de mer vorzunehmen. Sie aß ohne Lust. Hatte sie die Garnelen
noch sichtlich genossen, schien ihr jetzt der Appetit vergangen. Er
fragte sich, ob der Grund dafür die von ihm angekündigte
Trennung war. Oder ob ihr nicht die Einsicht, sich hier eben
fürchterlich blamiert zu haben, den Spaß an der
Zauberkunst des Kochs verdorben hatte.
    »Wie geht es
jetzt weiter?«, fragte sie betont sachlich, nachdem sie ein
wenig in ihrem Essen herumgestochert hatte.
    »Ich werde
einfach verschwinden, verstehst du. Es gibt nichts zu besprechen.
Ich will nichts von dir.«
    Sie verstand ihn
nicht. 
    Ein
Zeitungsverkäufer betrat das Restaurant, die Abendausgabe des
Marktführers auf dem Kölner Boulevard unterm Arm.
»Angst vor einem Serienmörder« stand in schwarzen
Lettern auf der Titelseite. »Zweiter Mord in vier Tagen -
Opfer erstochen und aus Wohnung geschleppt« lautete die
Unterzeile. Ein Bild zeigte, wie ein Zinksarg aus einem Innenhof
getragen wurde, daneben war ein Passbild des Toten abgedruckt. Der
Typ im schwarzen Sakko winkte dem Verkäufer zu. Gassmann
vermutete, dass er als mutmaßlicher Fernsehjournalist die
Konkurrenz beobachten musste. Das tat jeder Journalist. Was haben
die, was haben wir, warum haben die das und wir nicht? Auch das
waren weltbewegende Fragen, mit denen sich kostbare Lebenszeit
verplempern ließ.
    »Soll ich dir
was erzählen über den Toten?« Gassmann war drauf
und dran, zu dem Holzkopf im schwarzen Sakko zu gehen und ihn zu
fragen.
    »Was hast du
gesagt?«, murmelte seine Frau in Gedanken
versunken.
    »Ich kannte den
Toten da.«
    Sie hob ihren Kopf.
Sie konnte ihm heute Abend nicht mehr folgen.
    »Den Mann da auf
dem Foto«, sagte er und deutete auf die Zeitung, die der
Verkäufer jetzt auch ihnen anbot. Gassmann gab ihm einen Euro
und schmiss ihr die Zeitung vor die Nase. »Ich kannte den
Mann da. Und den, von dem sie gestern geschrieben haben, kannte ich
auch.«   
    Er sah ihr zu, wie sie
die wenigen Textzeilen auf der Titelseite überflog.
    »Sie haben
seinen Namen heute Nachmittag im Radio genannt, weil sie die
Bevölkerung zur Mithilfe aufgefordert haben. Die Polizei hat
keine Spur, verstehst du? Sie haben gesagt, wer die Männer
kannte und etwas über sie weiß, soll
anrufen.«       
    »Hast du
angerufen?«
    »Nein.«
    »Woher kennst du
sie? Ich habe die noch nie gesehen«, sagte sie, während
sie den Artikel über den Mord im Lokalteil las.
    »Damit sind wir
wieder beim Thema. Du weißt nichts von mir. Du kennst mich
eben gar nicht.«
    »So ein Quatsch.
Dass du mir von irgendwelchen Leuten, die du irgendwo mal kennen
gelernt hast, nichts erzählst, kann man mir ja wohl nicht
vorwerfen, oder?«
    Sie sah ihn an. Ingo
Gassmann wich ihr nicht mehr aus. Ihm schössen Tränen in
die Augen.
    »Es tut mir
leid«, sagte er. Jetzt hatte er die Kontrolle über die
Situation verloren, die er bislang mit so viel Genugtuung
beherrscht hatte. »Wir haben viel falsch gemacht in den
letzten Jahren. Wir haben alles geschehen lassen und nie
drüber nachgedacht, nie drüber geredet. Jeder hat
gemacht, was er wollte.«
    Sie griff über
den Tisch nach seiner Hand.
    »Was ist mit
diesen Leuten?«, fragte sie vorsichtig.
    »Ich kenne sie
von früher. Ist lange her. Wir haben
…«
    Er zögerte. Was
sollte er sagen? Zwei tote Freunde aus alten Zeiten in der Zeitung
und zwei Eheleute aus alten Zeiten an einem Tisch mit zerrissenem
Tischtuch. Warum sollte er sie mit seinen Ängsten
belästigen? Sie waren kein Team mehr, in dem man Freud und
Leid teilte. Schon lange nicht mehr.
    »Mir tut es auch
leid«, sagte sie zärtlich. »Es ist wirklich
vorbei, oder?«
    Er nickte. Sie
verzichteten auf die leckeren
Nachtisch-Spezialitäten.

22
    Remmer steuerte

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