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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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rechtsrheinische Deutz verlegt hatten. Die Stadt
wollte den Trubel vor dem Dom begrenzen. Am Dom hätte er es
leichter gehabt.
    Wo sollte er sich hier
postieren? Die Wahl fiel schwer. Er musste nah genug sein, um sein
Opfer auch erwischen zu können, wenn es sich in einer Gruppe
aufhalten sollte, und weit genug, um in Ruhe arbeiten und
anschließend flüchten zu können.
    Zwischen Rheinufer und
Straße verbaute der Landschaftsverband die Rücklagen
seiner Pensionskasse in einem hundertzehn Meter hohen Haus. Die
Kölner nannten den Turm tatsächlich Hochhaus, wie
Kusnezow in seiner vorbereitenden Lektüre feststellen konnte.
Eine riesige Diskussion hatte sich an diesem kleinen Turm
entzündet: Die Zeitungen hatten berichtet, dass die Bauherren
zunächst ihr Geld ohne Baugenehmigung investiert hatten. Als
sie die dann nachträglich bekamen, begann die Debatte um die
Höhe des Hauses, weil es angeblich dem Dom im Wege stand.
Einige Hochhausgegner hatten sogar erreichen können, dass die
Unesco den Kölnern damit drohte, ihren geliebten Dom von der
Weltkulturerbeliste zu streichen. Das hatte die Stadt im Mark
erschüttert. Denn alles, was den Dom betrifft, schien diese
Stadt im Mark zu erschüttern.
    Was für ein
Unsinn, dachte Kusnezow und musterte die noch unverglasten
Räume des Rohbaus. Eine Alternative war das Dach des
Bürogebäudes, hinter dem der Turm emporwuchs. Oder eines
der Büros, in die sich sicher sonntags leicht einbrechen
ließe. Ein Büro an der Seite zum Zielbereich wäre
ein idealer Arbeitsplatz.
    Ein Zugang zum Turm
wie auch zum Bürogebäude ließ sich leicht über
dem großen orangefarbenen Baukran finden, der etwa
hundertzwanzig Meter hoch neben dem Hochhaus über vier
Stahlstreben an dem Gebäude befestigt war. Kusnezow
überquerte die Straße und ging die Zufahrt zum Kopf der
Hohenzol-lernbrücke hoch, um sich den Kran aus der Nähe
anzusehen. Die Baufirma hatte sich wenig Mühe gegeben, die
Baustelle abzusichern. Es sah nicht so aus, als wenn er am
Wochenende irgendwelche Schwierigkeiten bekommen könnte, die
ihm den Aufstieg erschweren würden. Ein kleiner Aufzug
ersparte dem Kranführer die Strapazen, die Leiter in sein etwa
hundertzehn Meter hohes Führerhaus zu klettern. Kusnezow
würde ihn nicht benutzen können.
    Wichtiger als die
Frage, wie lange er zum Heraufklettern bräuchte, war die, wie
lange es wohl dauerte, wieder unten zu sein. Er musste rund siebzig
Meter überwinden, um dann über eine der Stahlstreben, die
den Kran hielten, in den dreiundzwanzigsten Stock des kaum
gesicherten Turms klettern zu können. Von dort aus könnte
er das Dach des vorgelagerten Bürokomplexes erreichen, von dem
er eine perfekte Sicht auf den Zieleinlauf haben würde. Er
schätzte, dass er etwa fünfzehn Minuten für den
Aufstieg und zehn Minuten für die Flucht
hätte. 
    Kusnezow machte noch
ein paar Polaroid-Fotos vom Baustellenzugang und von dem Kran.
Danach drehte er sich um und schlenderte in aller Ruhe die
Brücke hinauf. Der nicht enden wollende Nieselregen machte ihm
nichts aus. Er genoss den Blick auf die linke Rheinseite.
»Eine wunderbare Stadt.«

28
    »Wir haben was
gefunden.« Die Kollegin Schiller warf ein kleines, rotes
Büchlein auf Remmers Schreibtisch.
    »Liber AL vel
Legis«, las Remmer den in schwarzen Buchstaben aufgedruckten
Titel. »Was ist das?«
    »Noch nie was
davon gehört?«, fragte die Kollegin. »Haben wir in
einer Kiste im Keller von Vosskamp gefunden. Ein ganz besonderes
Buch.«
    Remmer blätterte
in dem Heftchen, eine seltsame Verssammlung mit nummerierten
Sprüchen.
    »Es gibt keinen
Gott außer dem Menschen«, zitierte sie. »Der
Mensch hat das Recht, nach seinem eigenen Gesetz zu
leben.«
    »Wo Sie gerade
dabei sind …«, unterbrach sie Schiller. Sie nahm ihr
das Buch aus der Hand, schlug eine bestimmte Seite auf und gab es
ihr zurück. »Lesen Sie das mal,
Chefin.«
    »Als Wohlgeruch
vermische Mehl und Honig und dicke Reste roten Weins, dann
Abramelin- und Olivenöl, und danach weiche und glätte es
mit reichlich frischem Blut.«
    »Was ist das
für 'n Scheiß?«, fragte Gröber, der ihr
gegenüber saß.
    Seine Chefin starrte
mit offenem Mund auf das Heft in ihrer Hand. Wortlos schmiss
Schiller ein zweites Exemplar auf den Schreibtisch.
    »Sie können
mitlesen. Das haben wir bei Höllerbach gefunden. Ganz normal
im Bücherregal.«
    »Das beste Blut
ist vom Mond, monatlich, dann das frische Blut eines Kindes oder
Tropfen vom Wirt des Himmels, dann vom Priester oder

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