Marathon
finde
ich.«
Während sie
weiter auf seine Waden starrte, machte sie eine kleine Pause. Als
immer noch keine Reaktion kam, wurde sie ein bisschen
lauter.
»Sind Sie der
vierte?«
Gassmann fuhr herum,
sodass sein flatternder Bademantel ein bisschen mehr von der
nackten Haut preisgab.
»Der vierte
was?«, brüllte er. »Was wollen Sie? Der vierte
Tote? Ich stehe hier und spreche mit Ihnen. Mir geht es gut. Ich
bin lebendig. Niemand hat mich bedroht.«
»Was regen Sie
sich so auf?« Es machte ihr Spaß, ihn ein wenig aus der
Reserve zu locken. Der Mann, der gut und gerne fast zehn Jahre
jünger als sie war, war Wachs in ihren Händen. »Sie
müssen mich verstehen, Herr Gassmann. Ich habe gestern Abend
in der Wohnung Ihres Freundes Höllerbach gestanden. Da war der
auch quicklebendig. Heute Morgen ist er tot. Helfen Sie mir! Denken
Sie nach, damit ich weiterkomme. Wie kann ich sicher sein, dass ich
Sie morgen
wiedersehe?«
»Es gibt keinen
Grund, warum mich jemand umbringen sollte.«
Gassmann beruhigte
sich wieder und kam zurück zum Tisch.
»Glauben Sie
mir, es gibt keinen Grund.«
»Gut. Ich
möchte, dass Sie noch einmal über alles nachdenken. Jede
Kleinigkeit kann wichtig sein. Rufen Sie mich sofort an, wenn Ihnen
was einfällt.«
Remmer legte ihre
Visitenkarte auf den Tisch.
»Sagen Ihnen die
Zahlen Elf, Zweiundzwanzig und Dreißig
etwas?«
Gassmann
schüttelte mit dem Kopf.
»Diese Zahlen
hat der Mörder an die Wand geschrieben, bevor er gegangen ist.
Es will uns etwas zeigen, aber wir wissen nicht, was. Ich
möchte Sie bitten, in den nächsten Tagen möglichst
vorsichtig zu sein. Gehen Sie am besten nicht allein vor die
Tür.«
Gassmann
lachte.
»Das wird nicht
möglich sein.«
»Warum
nicht?«
»Ich trainiere
für den Marathon am Sonntag. Da muss ich schon noch mal vor
die Tür«, sagte Gassmann und fügte scherzhaft
hinzu: »Sie können ja einen Polizisten mitlaufen
lassen.«
Remmer stand
auf.
»Keine schlechte
Idee.«
Das wäre der
richtige Auftrag für Gröber. Sie freute sich über
diesen erheiternden Gedanken. Da könnte ihr altersschwacher
Kollege doch mal zeigen, was er als Enddreißiger noch so
drauf-hatte.
»Wie alt sind
Sie?«, fragte sie unvermittelt.
»Neununddreißig.«
»Das passt ja
gut.«
Gassmann sah Remmer
verwundert an, als sie sich für den Kaffee bedankte und zur
Tür bringen ließ.
»Ach, eine Frage
hätte ich noch«, sagte sie im Gehen. »Wie messen
die Veranstalter vom Marathon die Zeiten der ganzen Läufer?
Können Sie mir das erklären?«
Gassmann schien die
Frage zu überraschen.
»Wie kommen Sie
denn darauf?«
»Nur so. Ich hab
mich das gefragt, als ich hierher gefahren bin.«
»Jeder
Läufer hat einen Chip im Schuh, mit dem sich die Zeiten
elektronisch einzeln messen lassen. Das ist eine tolle Sache. Man
läuft durch eine Lichtschranke, und der Computer registriert
die exakte Zeit zu jeder Startnummer.« Es schien ihm
Spaß zu machen, ihr das Prozedere zu
erklären.
»Tolle
Sache«, wiederholte Remmer brummend.
Gassmann schloss
hinter ihr die Wohnungstür. Ein Geräusch ließ sie
auf der ersten Treppenstufe noch einmal innehalten. Es klang, als
würde sich der Mann im Bademantel in seiner Wohnung mit dem
Rücken zur Tür in die Hocke fallen lassen. Vielleicht
nahm ihn der Tod der alten Bekannten doch mehr mit, vielleicht auch
die Drohung, dass er der Nächste sein könnte.
Warum haben
Wohnungstüren keine Schlüssellöcher, durch die man
schauen kann?
So eine
Marathon-Vorbereitung muss hart sein, dachte sie. Da
stößt man wahrscheinlich nicht erst beim Lauf an seine
physischen Grenzen. Das muss die totale psychische Erfahrung sein.
Die Herausforderung an die eigene Bequemlichkeit, die schmerzhafte
Überwindung der Angst. Darauf konnte sie gut und gerne
verzichten. Dieser Sport war Unsinn, befand sie. Wie alle anderen
Sportarten auch.
27
Asis Kusnezow stand
inmitten des tosenden Verkehrs und staunte über die
Verkehrsführung. Zwischen Deutzer Bahnhof, Messe und Deutzer
Brücke hatten die Verkehrsplaner all ihr Können
aufgebracht, um die Autofahrer möglichst bequem an ihr Ziel zu
führen. Zumindest diejenigen, die sich hier auskannten. Der
Rest war verloren. Neben den Straßen wurden Tribünen und
Gerüste aufgebaut. Auf der Fahrspur stadteinwärts sollte
der Zieleinlauf entstehen. Rechts von ihm würde der
Startbereich ausgeschildert werden.
Er ärgerte sich
darüber, dass die Veranstalter den Zieleinlauf von der
Domplatte ins
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