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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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Viertelstunde am Stück, nur von sich
selbst -was für ein Horror. Natürlich war das nicht gut
gegangen, weil sie schließlich die Regeln gebrochen und ihm
Vorwürfe gemacht hatte. Er sei ein Egoist, er sei nicht offen
genug, er habe Geheimnisse und all so einen Unsinn.
    Was für eine
Laberei. Wann hatte er damit angefangen? Wahrscheinlich schon als
Kind. Und wann hatte er damit aufgehört? Erst vor einem Jahr.
Es hatte lang gedauert, bis er erkannte, dass all das Gerede
überhaupt keinen Sinn hatte. Diese Erkenntnis hatte ihn wie
ein Blitz getroffen, wie ein Schlag, der ihm das Hirn frei
fegte.
    Mit einem Mal legte er
keinen Wert mehr darauf, immer Recht zu haben. Was für eine
Befreiung: Alle Kampfhandlungen wurden eingestellt. Er war
völlig zufrieden, wenn er etwas Gutes zu essen und zu trinken
hatte, es ein bisschen gemütlich war und er genügend Zeit zum
Schlafen hatte. Selbst seinen Sexualtrieb konnte er so in den Griff
bekommen.
    Seine Rennerei
ließ sich prima in diese neue Lebensphilosophie integrieren.
Laufen ist monoton, Laufen ist entspannend, Laufen ist einfach. Wie
Essen, Trinken und Schlafen. Und doch hatte er es nicht geschafft,
die Erkenntnisse zur Grundlage für eine neue Perspektive
für sein Leben zu machen. Es gab kein neues Ziel, keine neue
Aufgabe. Im Gegenteil: Er degenerierte. Er ließ es zu, dass
sich der Tod mit auf sein Sofa setzte. Es fing an zu stinken, und
er wusste nicht, ob er es selbst oder dieser neue Begleiter war.
Auch wenn er nicht mehr redete, das Nachdenken konnte er nicht so
einfach abstellen.   
    Was wäre das
für ein Glück, wenn man nicht mehr denken
müsste?       
    Und er hatte begonnen
zu hassen. Das war etwas Neues für ihn. Nie in seinem Leben
hatte er Hass auf einen Menschen verspürt. Er hatte stets
versucht, allen vorurteilsfrei und milde zu begegnen, immer
Entschuldigungen für Fehlverhalten gewusst, immer
Verständnis selbst für die größten
Arschlöcher gehabt. Doch dann, als der Tod neben ihm Platz
genommen hatte, stieg die Wut in ihm hoch. Ganz langsam. Er
erinnerte sich an seine alten Kumpane.
    Was hatten sie
für Lehren gezogen?, fragte er sich, als er auf dem Salierring
eine Gruppe junger Leute überholte, die sich in ein
Drachenkostüm gezwängt hatten und sich nun am
Schwächsten ihrer Gruppe orientieren mussten.
    Anstatt sich wie er
bescheiden zurückzuziehen, den Rückzug zu
perfektionieren, hatten seine alten Freunde weitergebastelt. Hier
ein bisschen Kitt, da ein bisschen Leim. Die Fassaden wurden mit
dicker Farbe neu gestrichen, damit man selbst nicht mehr sieht, wie
dahinter der Putz bröckelte. Und hinter dieser Scheinwelt,
aufgebaut auf einer großen Lüge, lebten sie ein
großkotziges Leben. Sie taten einfach so, als wenn nie etwas
geschehen wäre. Als wenn der Mensch Schuld durch
Verdrängung abtragen könnte. Die Alternative zum
Verdrängen war das Übernehmen von Verantwortung. Das
hieß nicht, dass man in Aktionismus verfallen musste, um diese
bigotte, unsoziale Gesellschaft der Egomanen vor ihrer
Auflösung zu bewahren. Die sollte sie erleben, am besten mit
einem großen Knall. Nein, Verantwortung musste er
übernehmen, um mit sich selbst im Reinen zu sein. Keine Tricks
und Ausreden mehr. Klare Verhältnisse.

45
    Von Poll bis zum
Polizeipräsidium war es nicht weit. Remmer steuerte den Wagen,
während Gröber nach einem Radiosender suchte, der vom
Marathon berichtete.
    »Was sollen die
uns schon erzählen?«, fragte Remmer schlecht gelaunt.
»Geht doch um nix bei diesem Quatsch.«
    »Und genau
deshalb finden es alle so schön«, entgegnete
Gröber. Im letzten Jahr hatte er auf der Neusser Straße
in Nippes gleich vorm Goldenen Kappes gestanden, unglaublich viel
Bier mit Freunden getrunken und mit viel Spaß die Läufer
angefeuert, während unweit neben ihm »Klüngel
Tropical« die Sambatrommeln schlug. Seine Freunde standen
jetzt wieder da. Er musste arbeiten.
    »Mal im Ernst:
Was soll's? Da laufen ein paar tausend durch die Stadt, die meisten
nicht gerade besonders schnell, und fallen nach zweiundvierzig
Kilometern auf den Bauch und denken …«
    Remmer trat auf die
Bremse, sodass Gröber beim Sendersuchen mit dem Kopf gegen das
Armaturenbrett knallte.
    »Spinnst
du?«
    Remmer fuhr den Wagen
an den Straßenrand und drehte den Schlüssel
um.
    »Gröber.
Zweiundvierzig Kilometer. Das Ziel!«
    Er schaute sie
erstaunt an.
    »Genau genommen
sind es zweiundvierzig Kilometer und hundertfünfundneunzig
Meter«, klugscheißerte er,

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