Marathon
haben?«, fragte Remmer.
Randberg ließ
den Kopf auf ihre Brust sinken.
»Geht es um
Lisa?«
Die Frau atmete
schwer. »Eigentlich geht es immer um Lisa«, sagte sie
leise. »Mein Mann hat den Verlust nie verarbeiten
können.«
»Was glauben
Sie, wie sie gestorben ist?«, fragte Remmer ohne
Umschweife.
Die Frau zögerte
nicht. »Sie hat sich
umgebracht.«
»Und
warum?«
»Wenn ich das
doch wüsste. Wir haben uns das immer wieder und wieder
gefragt. Warum? Warum? Es hat keinen Abschiedsbrief gegeben.
Nichts. Sie ist einfach gegangen. So wie er
jetzt.«
»Kannten Sie
ihre Freunde, mit denen sie damals unterwegs war? Monika Wengler
zum Beispiel?«
»Ach, das ist
doch alles schon so lange her. Mein Mann«, seufzte sie,
»mein Mann, der weiß das alles noch, als wenn es
gestern gewesen wäre. Den müssen Sie
fragen.«
Sie atmete schwer.
Ihre Augen wanderten zu einem kleinen Foto ihrer Tochter, das sie
in einem schwarzen Rahmen auf den massigen Schreibtisch gestellt
hatten, der unterm Fenster des Wohnzimmers stand. »Das war
ein schlechter Umgang, den sie da hatte. Aber ich kannte keinen von
ihren Freunden. Sie hat niemanden mitgebracht, nur diese Monika war
mal da. Mein Mann hat versucht, hinterher alle ausfindig zu machen,
um mit ihnen zu sprechen. Doch er hatte keinen
Erfolg.«
»Was heißt
das? Hat er sie nicht gefunden?«
»Doch. Er hat
sie alle gefunden und alle gefragt: Was habt ihr mit unserer Lisa
gemacht, dass sie sich das Leben genommen hat? Er hat keine Antwort
bekommen.«
Gröber hatte ein
Glas Wasser aus der Küche geholt. »Ihr Mann hat sich kein einziges
Mal gemeldet in den letzten Tagen?«, fragte er, bevor er ihr
das Glas reichte.
Sie schüttelte
den Kopf.
»Ist irgendetwas
Seltsames passiert in den letzten Wochen? Etwas, das Ihren Mann
verändert hat, was erklären könnte, warum er auf
einmal das Haus verlässt und nicht
wiederkommt?«
Sie verneinte auch
diese Frage wortlos. Die Frau schien des Redens
überdrüssig. Sie war mit ihren Kräften am
Ende.
»Wo könnte
er hingegangen sein?«
»Ich habe alle
Freunde angerufen. Jeden Tag aufs Neue. Keiner hat ihn
gesehen.«
»Können wir
Sie allein lassen?«, fragte Remmer.
Die Frau nickte. Als
sie gingen, murmelte Gröber noch irgendetwas von einer
kaputten Tür, die schon bald repariert werden würde.
Remmer griff sich eines der Fotos, die im Flur auf dem Klavier
standen. Es zeigte das Ehepaar Randberg in Wanderschuhen vor einer
Berghütte. Das Bild war gut genug, um es als Fahndungsfoto zu
vergrößern. Sie mussten Randberg finden.
44
Ingo Gassmann sah den
großen Silo, der den Blick auf das Severinstor verdeckte.
Kilometer elf, diese wunderbare kölsche Zahl. Er hörte
kölsche Musik, die aus Lautsprecherboxen schepperte. Hunderte,
vielleicht Tausende hatten sich am Chlodwigplatz versammelt, um die
Läufer anzufeuern, die jetzt mehr als ein Viertel des Laufes
hinter sich hatten. Er hatte den Eindruck, dass die Zahl der
Zuschauer am Wegesrand noch weiter angewachsen war. Die
Streckenplaner führten die Läufer hier gleich drei Mal
vorbei. Von der Deutzer Brücke waren sie durchs
Severinsviertel gelaufen, über den Chlodwigplatz zum Rheinufer
geleitet und dann bis zur Bismarcksäule in Bayenthal
geführt worden. Über Brühler und Bonner Straße
ging es zurück zum Chlodwigplatz. Gassmann hatte den Weg am
Rhein entlang genossen, die Menschenmengen jetzt waren ihm
unangenehm.
Unter den Läufern
trennte sich die Spreu vom Weizen. Wer sich gut vorbereitet hatte, lief
mit einer optimalen körperlichen Konstitution durch das Herz
der Stadt. Für den Rest begannen spätestens jetzt die
Qualen.
Bis zum zehnten
Kilometer erreicht der gute Läufer den so genannten
Flow-Zustand, ihm wachsen förmlich Flügel. Der
Könner steigert nun langsam die Anstrengung, ohne Gefahr zu
laufen, sich zu überschätzen. Die Stresshormone verziehen
sich, Endorphin, Serotonin und Dopamin machen gute Stimmung. Der
Körper hat sich seinen Drogencocktail selbst
gemixt.
Gassmann trabte weiter
zügig, aber locker, während seine Fettverbrennung damit
begann, auf Hochtouren zu laufen. So musste es sein. Er
überholte einen humpelnd laufenden und schnaufenden
Mittfünfziger aus einer Startgruppe, die vor ihm losgelaufen
war. Der Mann war das Rennen zu schnell angegangen.
Denk dir für
jeden Kilometer eine Etappe deines fast vierzigjährigen
Lebens, forderte sich Gassmann selbst auf, während er eine
Gruppe johlender Vollidioten am Wegesrand
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