Marco Polo der Besessene 1
durch ein Panjab genanntes Land...«
»Richtiger Panch Ab genannt«, flocht der hakim ein, »und das
bedeutet Fünf Flüsse.«
»... hat sich aber gelohnt. Der Sultan war, wie der Shah von
Persien, eifrig darauf bedacht, dem Khakhan Geschenke zu
schicken, um ihn seiner Treue und Ergebenheit zu
versichern...«
»... Und jetzt haben wir noch ein Extrapferd, beladen mit
Kleinodien aus Gold, Kashmirstoffen, Rubinen und...«
»Weit wichtiger«, sagte mein Vater, »ist aber, wie es unserem
Patienten Mafio geht.«
»Völlig entleert«, murrte mein Onkel und kratzte sich am
Ellbogen. »Am einen Ende habe ich gehustet, bis ich allen
Schleim rausgehustet hatte, und am anderen Ende habe ich
auch noch das letzte Bißchen an Kot und Gas ausgestoßen
und zwischendurch sogar noch den letzten Tropfen Schweiß
ausgeschwitzt. Ich bin es daher höllisch leid, am ganzen Leib
mit Zaubersprüchen gespickt und wie eine bigne-Semmel mit
Mehl bestäubt zu sein.«
»Ansonsten ist sein Zustand unverändert«, sagte Hakim Khosro
nüchtern. »Meine Bemühungen, den Heilkräften der Natur auf
die Sprünge zu helfen, haben nicht viel gefruchtet. Ich freue
mich, daß ihr jetzt alle wieder zusammen seid, denn ich
möchte, daß ihr diese Stadt verlaßt und den Patienten noch
näher an die Natur heranbringt. Hoch hinauf in die Berge im
Osten, wo die Luft klarer und reiner ist als hier.«
»Aber auch kalt«, wandte mein Vater ein. »So kalt wie die
Mildtätigkeit. Meint Ihr, das tut ihm gut?«
»Kalte Luft ist die sauberste Luft, die es gibt«, sagte der hakim. »Zu diesem Schluß bin ich durch genaue Beobachtung und berufliches Studium gekommen. Beweis: Menschen, die ständig in kaltem Klima leben wie die Russniaken, haben eine rein weiße Hautfarbe; in heißen Klimazonen wie Hindu-Indien sind die Menschen schmutzigbraun oder schwarz. Wir Pakhtuni, die wir zwischen beiden Zonen angesiedelt sind, haben eine bräunliche Hautfarbe. Ich kann Euch nur raten, den Patienten hinzubringen, und zwar bald -hinauf in die kalten, klaren, weißen Bergeshöhen.«
Als der hakim und wir Onkel Mafio halfen, sich aufzusetzen, sich aus den Ziegenhäuten herauszuwickeln und zum erstenmal seit Wochen richtig anzuziehen, waren wir erschrocken, wie dünn er geworden war. In den plötzlich viel zu großen Kleidern sah er womöglich größer aus als zuvor, da er in seiner Vierschrötigkeit die Säume seiner Kleider fast zum Platzen gebracht hatte. Auch war seine gesunde rote Gesichtsfarbe einem fahlen, bleichen Ton gewichen, und die Hände zitterten ihm, da er sie solange nicht gebraucht hatte. Dennoch behauptete er, heilfroh zu sein, endlich wieder aufrecht zu stehen und sich zu bewegen. Später, in der Halle der karwansarai, als wir an diesem Abend beim Essen saßen, fragte er mit lauter Stentorstimme wie eh und je nach den letzten Neuigkeiten hinsichtlich der Wege, die nach Osten in die Berge hineinführten.
Reisende von mancherlei anderen karwans gingen darauf ein, berichteten uns von den augenblicklich herrschenden Verhältnissen und gaben uns so manchen guten Rat hinsichtlich des Reisens im Gebirge. Zumindest hofften wir, diesen guten Rat auch gebrauchen zu können, doch waren wir dessen nicht sicher, da keine zwei von denen, die sprachen, sich auch nur auf einen der Namen der östlich von hier ragenden Berge einigen konnten.
Einer sagte: »Das ist der Himalaya, die Wohnung des Schnees. Ehe ihr hinaufzieht, kauft ein Fläschchen Mohnsaft und tragt es immer bei euch. Werdet ihr dann mit Schneeblindheit geschlagen, genügt ein Tropfen in die Augen, die Schmerzen
zu vertreiben.« Ein anderer sagte: »Das sind die Karakoram, die Schwarzen Berge, die Kalten Berge. Und die Schmelzwasser dort oben sind das ganze Jahr hindurch eiskalt. Laßt eure Pferde nicht davon saufen, nur aus einem Eimer, den ihr zuvor erwärmt habt; sonst bekommen sie eine Kolik.«
Noch ein anderer sagte: »Diese Berge nennt man Hindu-Kush, Hindu-Töter. In diesem unwirtlichen Gelände wird so manches Pferd rebellisch und unlenkbar. Sollte das geschehen, schlingt einfach ein Haar vom Schweif des Tieres um seine Zunge; es wird sofort lammfromm sein.«
Und noch ein anderer sagte: »Diese Berge heißen Pai-Mir, was soviel bedeutet wie Weg zu den Gipfeln. Das einzige Futter, das eure Pferde dort oben finden werden, ist der schiefergraue, starkriechende kleine Burtsa-Strauch. Aber eure Pferde werden ihn immer für euch finden; er ist wichtig und
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