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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Richtung durch sein breites Tal und danach in womöglich noch größere Höhe über dem Rest der Erde. Spricht man von einem Tal, denkt man für gewöhnlich an eine Falte oder Furche in der Erde, doch dieses ist viele farsakhs breit und tiefer gelegen nur im Verhältnis zu den Bergen, die in der Ferne ringsumher aufragen. Läge es irgendwo sonst auf der Welt, würde das Tal nicht unter der Erde liegen, sondern hoch oben zwischen den Wolken, so daß menschliche Augen es nicht mehr sehen könnten und für sie unerreichbar wäre wie der Himmel. Nicht, daß das Tal dem Himmel in irgendeiner Weise ähnelte, wie ich mich beeilen möchte hinzuzusetzen, denn es ist kalt und unwirtlich und keineswegs balsamisch, milde und willkommen heißend.
    Die Landschaft blieb sich immer gleich: das breite Tal, übersät mit heruntergebrochenen Felsen und strichweise mit Buschwerk bewachsen und all das unter einer Schneedecke verborgen; der Weiß-Wasser-Fluß, der hindurchfließt; und in der Ferne zu beiden Seiten die zahnweißen und zahnscharfen Berge. Nichts veränderte sich dort außer dem Licht, das vom goldgelben bis pfirsichfarbenen Sonnenaufgang bis zu rosenrot glühenden Sonnenuntergängen reichte -dazwischen Himmel von einer Bläue, daß sie schon fast violett zu nennen war, es sei denn, das Tal war von naßgrauen Wolken überspannt, die Hagel oder Sonne herniederregnen ließen.
    Eben war der Boden nirgends: er bestand vielmehr aus einem Gewirr von großen und kleinen Felsen und Geröllflächen, zwischen denen wir uns den Weg suchen mußten. Aber abgesehen von dem ständigen Hin und Her und Auf und Ab, ging der eigentliche Aufstieg für unsere Augen unmerklich vonstatten; man hätte fast meinen können, daß wir uns immer noch unten auf der Ebene befänden. Denn jeden Abend, wenn wir haltmachten, um das Lager aufzuschlagen, schienen die Berge am Horizont genauso hoch wie den Abend zuvor. Doch das lag nur daran, daß die Berge immer höher wurden, je weiter wir das Tal hinaufstiegen. Es war, als stiege man eine Treppe hinauf, deren Geländer immer Schritt mit einem hielte, und wenn man nicht hinuntersähe, würde man nicht erkennen, daß alles dahinter weit in der Tiefe unter einem zurückbleibt.
    Aber selbstverständlich gab es mehrere Möglichkeiten für uns festzustellen, daß wir die ganze Zeit über an Höhe gewannen. Da war zunächst einmal das Verhalten unserer Pferde. Wenn wir Zweibeiner gelegentlich absaßen, um eine Zeitlang zu Fuß zu gehen, nahmen wir körperlich vermutlich nicht wahr, daß jeder Schritt um ein weniges höher führte als der vorhergehende, doch die Tiere mit ihren zwei Vorder-und zwei Hinterbeinen wußten sehr wohl, daß sie sich die ganze Zeit über auf einer leicht geneigten Fläche bewegten. Und da Pferde sehr vernünftige Tiere sind, übertrieben sie schelmisch ihren schleppenden Gang, um ihn nach mühevoller Arbeit aussehen zu lassen und damit wir sie nicht antrieben, schneller
    zu gehen. Ein weiteres Zeichen für das Ansteigen des Geländes war der Fluß, der uns das ganze Tal hindurch begleitete. Der Ab-e-Panj, hatte man uns gesagt, war einer der Quellflüse des Oxus, des großen Stroms, den Alexander immer wieder überqueren mußte und der in seinem Buch als unendlich breit und träge fließend und ruhig beschrieben wird. Der jedoch fließt weit im Westen und von uns aus gesehen tief unter uns. Der Ab-e-Panj neben unserer Route war weder breit noch tief, dafür rauschte er wie die endlose Jagd weißer Pferde mit wehenden Mähnen und Schweifen durchs Tal. Das Geräusch, das er machte, hörte sich in der Tat bisweilen mehr nach einer galoppierenden Pferdeherde an denn nach einem Fluß, denn das Brodeln des Wassers geht oft im Krachen und Knirschen und Grollen der kleineren Felsbrocken unter, die er in seinem Bett zu Tal rollen läßt und schiebt. Ein Blinder könnte sagen, daß der Ab-e-Panj sich zu Tal stürzte, und erkennen, daß der Quell dieses Flusses, der Gewalt der Wassermassen nach zu urteilen, irgendwo in noch sehr viel größerer Höhe liegen mußte. Da es Winter war, hätte der Fluß seinen Lauf auch für keinen Augenblick verlangsamen können, sonst wäre er festgefroren und es hätte weiter unten im Tal vielleicht keinen Oxus gegeben. Das konnte man daran erkennen, daß jeder Spritzer und jedes bißchen hochgeschleudertes Wasser auf den Felsufern augenblicklich zu blauweißem Eis erstarrte. Da dieses das Gehen in Flußnähe noch gefährlicher machte, als es auf dem schneebedeckten

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