Marco Polo der Besessene 1
das Mädchen zu mir
zurück und sagte zögernd, gleichsam als stellte sie eine Frage:
»Eure Kleider brennen?«
»Ja, das würden sie wohl. Wo sind sie.«
»Nicht bekommen«, sagte sie und zeigte mir, daß sie nur ihre
eigenen in Händen hielt.
»Ah, du meinst nicht, verbrennen. Du meinst: trocken. Ist es
das? Meine sind noch nicht trocken7«
»Nein. Fort. Eure Kleider alle verbrennen.«
»Was soll das heißen. Du hast gesagt, sie würden gewaschen
werden.«
»Nicht waschen. Reinigen. Nicht in Wasser. In Feuer.«
»Ihr habt meine Kleider in ein Feuer gehalten? Sie sind
verbrannt!«
»Ghi.«
»Bist auch du eine Feueranbeterin, oder bist du bloß divane?
Du hast sie in Feuer statt in Wasser waschen lassen? Olä,
Gebr! Perserhund! Olä, Hurenmeister!«
»Nicht Schwierigkeiten machen!« bat das Mädchen mit
ängstlichen Augen. »Ich geben Dirham zurück.«
»Aber ich kann doch keinen Dirham anziehen, um durch die Stadt zurückzukehren in die karwansarai. Warum hast du meine Kleider verbrannt?«
»Warten! Sehen!« Sie holte ein Stück nicht verbrannter Holzkohle aus dem Becken und fuhr damit über den Ärmel ihres eigenen Gewandes, so daß sie einen schwarzen Streifen hinterließ. Dann hielt sie den Ärmel über die brennenden Kohlen.
»Du bist divane!« rief ich. Doch der Stoff fing nicht an zu brennen. Es flammte nur einmal kurz auf, als der schwarze Strich wegbrannte. Das Mädchen nahm den Ärmel vom Feuer, um mir zu zeigen, daß er plötzlich wieder makellos sauber war, und redete in einer Mischung aus Pashtun und Farsi an mich hin, bis ich plötzlich begriff, worauf sie hinauswollte. Das schwere und geheimnisvolle Gewebe wurde stets auf diese Weise gereinigt, und meine Kleider waren dermaßen verdreckt und verkrustet gewesen, daß sie gemeint hatte, sie bestünden aus demselben Material.
»Schön«, sagte ich. »Dann verzeihe ich dir. Das war gut gemeint und ist nur Pech gewesen. Damit habe ich aber immer noch nichts anzuziehen. Was machen wir jetzt?«
Sie gab mir zu verstehen, daß ich zweierlei tun könne. Entweder konnte ich mich bei ihrem Meister, dem Gebr, beschweren und verlangen, daß er mir ein neues Gewand zur Verfügung stelle, was das Mädchen die gesamten Tageseinnahmen kosten und ihr vermutlich obendrein noch eine Tracht Prügel einbringen würde. Oder ich konnte die Kleider anziehen, die zur Verfügung stünden -damit meinte sie ein paar der ihren -und als Frau verkleidet durch die Straßen der Stadt Balkh gehen. Nun, da blieb mir keine Wahl; schließlich mußte ich ritterlich sein; folglich mußte ich die Dame spielen.
So schnell ich konnte, trippelte ich durch den Laden, war aber immer noch dabei, meinen chador zurechtzurücken, und der alte Gebr hinter dem Ladentisch schob die Brauen in die Höhe
und rief: »Ihr habt mich beim Wort genommen! Ihr zeigt mir
wirklich eine Schönheit unter den Landpomeranzen!«
Knurrend warf ich ihm einen der wenigen Pashtunausdrücke an
den Kopf, die ich kannte: »Bahi chut!« -eine Empfehlung, der
eigenen Schwester eine gewisse Sache anzutun.
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und rief hinter mir her:
»Das würde ich ja tun, wenn sie so hübsch wäre wie Ihr!«,
während ich hinauslief in den immer noch fallenden Schnee.
Bis auf den Umstand, daß ich ab und zu stolperte, weil ich den
Boden durch den verdunkelnden Schnee und meinen chador
nicht recht sehen konnte, und auch, weil ich häufig auf die
eigenen Säume trat, gelang es mir, die karwansarai heil zu
erreichen. Das enttäuschte mich ein wenig, denn ich war die
ganze Zeit über mit zusammengebissenen Zähnen und
geballten Fäusten dahingeeilt, immer in der Hoffnung, irgendein
Evaködernder Trottel möge mir zuzwinkern oder mich
ansprechen; denn dann hätte ich ihn umbringen können. Durch
die Hintertür schlüpfte ich unbeobachtet in die Herberge und
beeilte mich, meine eigenen Kleider anzuziehen; schon wollte
ich die des Mädchens fortwerfen, doch besann ich mich eines
Besseren und schnitt ein viereckiges Tuch aus dem Gewand,
um es als Kuriosum aufzubewahren. Seither habe ich viele
Menschen damit in Erstaunen versetzt, die mir nicht glauben
wollten, daß es so etwas wie feuerfesten Stoff überhaupt gebe.
Ich jedoch hatte von einem solchen Material gehört, längst ehe
ich aus Venedig fortgesegelt war. Ich hatte Priester davon
reden hören, daß der Papst in Rom unter den geschätzten
Reliquien der Kirche ein
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