Marco Polo der Besessene 1
Eure Fingernägel sind glanzlos. Das Haar ist spröde und
bricht leicht. Es fehlt nur eine Bestätigung, doch die müßt Ihr
irgendwo am Körper haben. Eine schwärende Geschwulst, die
nicht heilen will.«
Onkel Mafio sah ihn an, als wäre der hakim ein Zauberer, und
sagte erschrocken: »Ein Insektenstich, den ich mir schon in
Kashan geholt habe. Nichts als ein Insektenstich.«
»Zeigt ihn mir!«
Mein Onkel rollte den linken Ärmel hoch. Nahe dem Ellbogen
hatte er eine rotleuchtende kleine Stelle. Der hakim faßte sie
fest ins Auge und sagte: »Wenn ich mich irre, sagt es mir.
Zuerst ist der Insektenstich geheilt; dann hat sich eine kleine
Narbe gebildet, ganz natürlich. Doch dann brach die Schwäre
wieder auf, und zwar neben der Narbe, heilte wieder, brach
erneut auf, immer neben der alten Narbe...«
»Ihr irrt Euch nicht«, sagte mein Onkel leise. »Und was folgert
daraus?«
»Es bestätigt nur meine Diagnose -daß Ihr am kala-azar
erkrankt seid. Der Schwarzen Krankheit, der Bösen Krankheit.
Die in der Tat von einem Insektenstich ausgeht. Nur ist dieses
Insekt selbstverständlich die Verkörperung eines bösen jinni.
Eines jinni, der so hinterhältig ist, daß er die Form eines
winzigen Insekts annimmt, daß man nie auf den Gedanken
käme, es könnte soviel Unglück anrichten.«
»Ach, so groß, daß ich es nicht ertragen könnte, ist er auch
wieder , nicht. Etwas marmorierte Haut, ein wenig Husten, ein
bißchen Fieber, eine kleine Schwäre...«
»Nur, daß es leider nicht dabei bleiben wird. Die Anzeichen
werden sich vervielfältigen und immer schlimmer werden. Euer
sprödes Haar wird brechen und Ihr werdet am ganzen Körper
die Haare verlieren. Das Fieber bringt Auszehrung, Mattigkeit
und Schwäche mit sich; zuletzt werdet Ihr keine Lust mehr
haben, Euch überhaupt noch zu bewegen. Der Schmerz unterm
Schlüsselbein breitet sich von einem Milz genannten Organ im
ganzen Körper aus. Er wird sich verschlimmern und die Milz
wird sich ausbeulen, sich verhärten und wird aufhören zu
funktionieren. Die Verfärbung wird sich über die ganze Haut
ausbreiten, aus Grau wird Schwarz werden, überall werden sich
Geschwulste und Furunkel, Pusteln und Schuppen bilden, bis
Ihr am ganzen Körper - auch im Gesicht - aussehen werdet wie
über und über mit schwarzen Rosinen bedeckt. Inzwischen werdet Ihr keinen sehnlicheren Wunsch haben als den zu sterben. Und das werdet Ihr auch, sobald die Milz ihre Funktion ganz einstellt. Wenn Ihr nicht augenblicklich und fortlaufend behandelt werdet, sterbt Ihr mit Sicherheit.«
»Aber gibt es denn eine Behandlung?« »Doch. Mit diesem hier.« Hakim Mimdad zog ein kleines Stoffbeutelchen hervor. »Diese Arznei setzt sich zur Hauptsache aus dem Antimon genannten Metall zusammen, und zwar in Pulverform. Damit wird der böse jinni mit Sicherheit vertrieben; deshalb ist es ein zuverlässig wirkendes Heilmittel für die kala-azar. Wenn Ihr jetzt damit beginnt, es einzunehmen, und zwar in winzig kleinen Dosen, und es weiterhin nach Vorschrift einnehmt, wird es Euch bald bessergehen. Ihr werdet das Gewicht zurückgewinnen, das Ihr
verloren habt. Eure Kraft wird sich wieder einstellen. Ein anderes Heilmittel jedoch als dieses Antimon gibt es nicht.« »Ja und? Mehr als einmal will ich ja gar nicht geheilt werden.
Deshalb bin ich mit diesem vollauf zufrieden.« »Leider muß ich Euch aber darauf hinweisen, daß das Antimon einerseits das kala-azar zwar zum Stillstand bringt, andererseits jedoch schadet.« Er legte eine Pause ein. »Seid Ihr sicher, daß
Ihr dies Gespräch nicht doch lieber unter vier Augen führen möchtet?« Onkel Mafio sah zaudernd von einem zum anderen, straffte
dann jedoch die Schultern und sagte: »Was immer es ist - sagt
es frei heraus!« »Das Antimon ist ein Schwermetall. Nimmt der Körper es auf, sinkt es vom Magen aus in den Verdauungstrakt hinunter, übt unterwegs seine wohltätige Wirkung aus und unterdrückt den jinni des kala-azar. Da es jedoch schwer ist, sinkt es weiter in den unteren Körperbereich, das heißt, in jenen Sack, der die Kräfte der Männlichkeit birgt.«
»Dann wird mein Gemächt eben schwerer herabhängen. Ich bin kräftig genug, es zu tragen.«
»Ich nehme an, ihr seid ein Mann, der diese Manneskraft - hm gern unter Beweis stellt. Wo die Schwarze Krankheit Euch
befallen hat, ist keine Zeit zu verlieren. Solltet Ihr noch keine
Freundin in diesem Lager gefunden haben,
Weitere Kostenlose Bücher