Marco Polo der Besessene 1
empfehle ich, daß
Ihr Euch beeilt, Euch in das von dem Juden Shimon betriebene
Bordell zu begeben.«
Onkel Mafio ließ ein mißtönendes Lachen ertönen, das mein
Vater vielleicht besser zu deuten wußte als Hakim Mimdad.
»Ich sehe den Zusammenhang nicht. Warum sollte ich das
tun?«
»Um Eure Manneskraft zu genießen, solange Ihr noch dazu in
der Lage seid. Ich an Eurer Stelle, Mirza Mafio, würde mich
beeilen, soviel zina zu bekommen, wie ich könnte. Es gibt für
Euch nur zwei Möglichkeiten: vom kala-azar furchtbar entstellt
zu werden und schließlich daran zu sterben, oder aber -wenn
Ihr geheilt werden und am Leben bleiben wollt -ungesäumt
damit anzufangen, das Antimon zu nehmen.«
»Was soll das heißen -wenn! Selbstverständlich möchte ich
geheilt werden.«
»Überlegt es Euch gut. Manche würden lieber an der
Schwarzen Krankheit sterben.«
»In Gottes Namen -warum? Sprecht unverblümt und klar,
Mann!«
»Weil das Antimon, sobald es sich in Eurem Hodensack
sammelt, beginnt, seine andere und verderbliche Wirkung zu
zeigen, die darin besteht, Eure Hoden zu Stein werden zu
lassen. Bald werdet Ihr vollständig impotent sein - und zwar für
den Rest Eures Lebens.«
»Gesu!«
Niemand sagte einen Ton. Ein schreckliches Schweigen erfüllte den Raum, und offensichtlich traute sich niemand, es zu brechen. Schließlich ergriff Onkel Mafio selbst das Wort wieder und sagte kläglich: »Ich habe Euch Dotor Balanzon genannt, ohne zu ahnen, wie nahe ich der Wahrheit damit gekommen bin. Daß Ihr mir wirklich einen üblen Streich spielen würdet.
Mich vor eine so lachhafte Wahl zu stellen: entweder
elendiglich zugrunde zu gehen oder entmannt weiterzuleben.«
»Aber das ist die Entscheidung, vor der Ihr steht. Lange könnt
Ihr sie nicht mehr hinausschieben.«
»Ich werde zum Eunuchen?«
»Was die Wirkung betrifft - ja.«
»Keinerlei Fähigkeit mehr in der Beziehung?«
»Keine.«
»Aber... vielleicht... dar mafa'ul be-vasilé al-badám?'«
»Nakher. Das badám, der sogenannte dritte Hoden, versteinert
gleichfalls.«
»Dann gibt es also keinen Ausweg. Capón mal caponá. Und
wie... steht es mit dem Verlangen?«
»Nakher! Nicht einmal das.«
»Ach was!« Onkel Mafio erstaunte uns alle, als das so heiter
kam wie eh und je. »Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?
Warum sich deswegen Sorgen machen, wenn ich doch nicht
mehr den Wunsch haben werde, es zu tun? Überlegt doch nur!
Kein Begehren -infolgedessen auch keine Notwendigkeit mehr,
infolgedessen keine Plage mehr, infolgedessen keine
komplizierten Folgen. Jeder Priester, der je von einer Frau,
einem Chorknaben oder einem succubo in Versuchung geführt
worden ist, sollte mich beneiden.« Für mich kam ich zu dem
Schluß, daß Onkel Mafio keineswegs so heiter gestimmt war,
wie er es gern hingestellt hätte. »Außerdem sind längst nicht
alle meine Wünsche in Erfüllung gegangen. Der jüngste
Gegenstand meines Verlangens ist in der Salzwüste versunken
und verschwunden. Man kann daher von Glück sagen, daß
dieser jinni der Entmannung sich nicht auf jemand gestürzt hat,
den würdigere Sehnsüchte beherrschen.« Er ließ noch ein
blökendes Lachen vernehmen, das schrecklich aufgesetzte
Heiterkeit verriet. »Aber hört mich an -der ich hier wüte und
dummes Zeug schwätze. Wenn ich mich nicht vorsehe,
entwickle ich mich womöglich noch zu einem Moralphilosophen
-der letzten Zuflucht des Eunuchentums. Da sei Gott vor!
Einem Moralisten sollte man noch mehr aus dem Weg gehen
als einem Sensualisten, no xe vero? Aber wirklich, guter hakim,
ich entscheide mich fürs Leben. Beginnen wir damit, das
Heilmittel einzunehmen -aber morgen reicht auch noch, nicht
wahr?« Mit diesen Worten hob er seinen weitgeschnittenen
chapon-Mantel auf und zog ihn über. »Wie Ihr mir gleichfalls
verschrieben habt -solange es mich noch gelüstet, sollte ich
dieser Lust nachgehen. Solange noch Säfte in mir sind, sie
verschwenden, ja? Deshalb entschuldigt mich, meine Herren.
Ciao.« Mit diesen Worten verschwand er und schlug mit Macht
die Tür hinter sich zu.
»Der Patient macht gute Miene zum bösen Spiel«, murmelte
der hakim.
»Vielleicht ist es aber auch ehrlich von ihm gemeint«, sagte
mein Vater, ohne sich festzulegen. »Der unerschrockenste
Seemann kann, nachdem viele Schiffe unter ihm versunken
sind, dankbar sein, wenn er zuletzt an einen heiteren Strand
geworfen
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