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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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verstummen. Dankbar richtete ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den Tanz. Das Kind blieb Gott sei Dank still, doch Nasenloch blieb eine Weile drinnen. Als er schließlich
    wieder herauskletterte und sich wieder neben mir niederließ, dankte ich ihm und sagte aus Spaß: »Was hast du gemacht? Es umgebracht und verscharrt?«
    Selbstgefällig entgegnete er: »Nein, Herr, mir ist da von einem Augenblick auf den anderen ein Einfall gekommen. Ich habe das Kind mit einem schönen neuen Schnuller und einer Milch, die sahniger ist als die seiner Mutter, zur Ruhe gebracht.«
    Mir dämmerte erst langsam, was er gemeint hatte. Doch als ich begriffen hatte, fuhr ich entsetzt zurück und rief: »Himmelherrgott -das hast du nicht getan!« Er machte nicht im geringsten den Eindruck, als ob er sich schämte, sondern schien nur gelinde verwundert über meinen Ausbruch. »Gesu! Dein kümmerliches kleines Dingdong hat eine eklige Erkrankung hinter sich, ist in Tiere und Kehrseiten hineingesteckt worden und -und jetzt in ein kleines Kind! Noch dazu deines eigenen Volkes!«
    Achselzuckend meinte er: »Ihr wünschtet, daß es Ruhe gäbe, Mirza Marco. Und seht, es schläft immer noch den Schlaf der Befriedigten. Und mir selbst könnte es gar nicht bessergehen.«
    Er hätte es verdient, bis aufs Blut durchgeprügelt zu werden, und es wäre ihm wohl Schlimmeres von den Eltern des Kindes widerfahren. Doch da ich ihn in gewisser Weise angestiftet hatte, schlug ich den Sklaven nicht. Ich beschimpfte ihn nur, überhäufte ihn mit Schmähungen und hielt ihm sogar die Worte Unseres Herrn Jesus -oder Nasenlochs Prophet Isa -vor, daß wir uns Kindern gegenüber immer zartfühlend verhalten sollten, »denn ihrer ist das Himmelreich«.
    »Aber ich bin sogar sehr zartfühlend vorgegangen, Herr. Und
    Ihr könnt jetzt den Rest des Tanzes ungestört genießen.« »Mitnichten werde ich das! Jedenfalls nicht in deiner Gesellschaft, elende Kreatur! Ich könnte den tanzenden Frauen nicht gerade in die Augen blicken in dem Bewußtsein, daß eine von ihnen die Mutter des armen, unschuldigen Wesens ist!« Und so entfernte ich mich, ehe der Tanz zu Ende war.
    Doch glücklicherweise kam es nicht oft vor, daß solche Erlebnisse durch unangenehme Zwischenfälle wie diesen gestört wurden. Bisweilen führten mich die Klänge der Musik jedoch nicht zu einem Tanz, sondern zu einem Spiel. Es gab zwei Arten von Sport im Freien, die in Buzai Gumbad getrieben wurden, und beide hätten nicht auf wesentlich engerem Raum gespielt werden können, denn bei beiden spielten eine ganze Menge Menschen zu Pferde mit, und es ging nicht gerade sanft dabei zu.
    Das eine Spiel spielten die Hunzukut-Männer, denn ursprünglich war es in ihrem Heimattal Hunza irgendwo südlich von diesen Bergen aufgekommen. Die Berittenen schwangen bei diesem Spiel langstielige, hammerartige Schläger und schlugen damit nach etwas, das sie pulu nannten, ein abgerundetes Stück Weidenholz, das ballgleich über den Boden rollte. Zu jeder Mannschaft gehörten sechs berittene Hunzukut, die versuchten, den pulu mit ihren Schlägern zu treffen -dabei jedoch häufig ihre Gegner, ihre Pferde oder ihre eigenen Mannschaftskameraden trafen -, um den pulu an der Verteidigung der sechs schlägerschwingenden Gegner vorbeizutreiben, bis er über die am hintersten Ende des Spielfeldes gezogene Siegerlinie rollte oder hinüberflog.
    Mir fiel es häufig schwer, dem Spielverlauf zu folgen, da es mir nicht so ohne weiteres gelang, die beiden gegnerischen Mannschaften auseinanderzuhalten. Alle trugen sie eine schwere Ausrüstung aus Leder und Pelzen nebst dem typischen Hunzuk-Hut, der bewirkt, daß es aussieht, als ob der Träger zwei dicke Pasteten auf dem Kopf balancierte. Dieser Hut besteht aus einer langen Röhre aus rauhem Tuch, das von beiden Enden aus aufgerollt wird, bis die beiden Rollen aufeinander-treffen und man sich das Ganze auf den Kopf stülpt. Beim pulu-Spiel trug die eine Mannschaft rote Pastetenhüte und die andere blaue. Doch nach kurzer Zeit des Spiels konnte man die beiden Farben kaum noch unterscheiden.
    Meistens verlor ich auch den hölzernen pulu selbst unter den achtundvierzig donnernden Pferdehufen, dem aufspritzenden Schnee und Schlamm und Schweiß sowie den zusammenprallenden Schlägern aus den Augen; und nicht selten kam es vor, daß irgendwelche abgeworfenen Spieler gleichfalls getroffen und hin-und hergestoßen wurden. Doch die erfahreneren Zuschauer, und das waren praktisch alle anderen in

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