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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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See her auch der abendliche caligo heran, und eingehüllt vom Nebel wurden die Trauerfeierlichkeiten womöglich noch schwermütiger, klangen die Musik gedämpfter und die Gesänge womöglich noch unheimlicher.
    Fackeln wurden entlang des Trauerweges angezündet, und die meisten der Mitziehenden zogen Kerzen hervor und steckten sie an. Eine Weile marschierte ich unter der gewöhnlichen Herde einher -oder humpelte vielmehr, da der Degen an meinem linken Bein mich zwang, dieses steif zu schwingen und schob mich allmählich bis in die vorderste Reihe der
    Menge vor. Dort erkannte ich, dass nahezu alle offiziellen Trauergäste bis auf die Priester Umhang und Kapuze trugen. Damit war gewährleistet, dass ich nicht auffiel; im Nebel konnte man mich durchaus für einen der Künstler oder Handwerker halten. Nicht einmal meine geringe Größe fiel auf; denn zur Prozession gehörten zahlreiche verschleierte Frauen, die auch nicht größer waren als ich, sowie ein paar kapuzenbewehrte Zwerge und Bucklige, die sogar noch kleiner waren als ich. Infolgedessen gelang es mir, mich unmerklich und unbehindert unter die Trauernden vom Hofstaat des Dogen und sogar noch weiter vorzuschieben, bis ich von Bahre und Bahrenträgern nur mehr durch das Glied der Priester getrennt war, die ihr rituelles
    pimpirimpara herunterleierten, ihre Weihrauchgefäße
    schwenkten und den Nebel durch den Weihrauch noch
    verdichteten.
     
    Ich war nicht der einzige unverdächtige Mitmarschierer. Da alle anderen gleichfalls in wallende Gewänder und in dichten Nebel eingehüllt waren, fiel es mir schwer, mein Opfer zu erkennen. Doch der Marsch durch die Straßen dauerte lange genug, dass ich Gelegenheit hatte, mich vorsichtig von einer Seite zur anderen zu schieben und dabei eines jeden Mannes unter der Kapuze hervorschauendes Profil genau ins Auge zu fassen; auf diese Weise entdeckte ich schließlich Ilarias Gatten und ließ ihn fortan keinen Moment mehr aus dem Auge.
    Die günstige Gelegenheit für mich ergab sich, als der corteggio aus einer engen Gasse auf die gepflasterte Uferböschung des Nordufers hinauskam - als er auf die Tote Lagune zustieß, nicht weit von der Stelle entfernt, wo der Treidelkahn der Kinder vertäut war, wiewohl dieser im Nebel und der sich immer mehr verdichtenden Dunkelheit unsichtbar blieb. Am Ufer hatte die Barke des Dogen festgemacht, denn diese hatte die Stadt umrundet, um vor uns dort zu sein und auf ihn zu warten und von dort aus die letzte Fahrt mit ihm anzutreten -zur Toteninsel, die so weit vom Ufer aus gleichfalls unsichtbar war. Die Trauernden wurlten durcheinander, als alle, die der Bahre zunächst gingen, den Trägern halfen, sie an Bord der Barke zu heben, und das gab mir die Gelegenheit, mich unter sie zu mischen. Ich drängelte mich vor, bis ich unmittelbar neben meinem Opfer stand, und bei dem ganzen Geschiebe und Gedränge merkte niemand etwas von der Mühe, die ich damit hatte, meinen Degen aus der Scheide zu ziehen. Glücklicherweise gelang es Ilarias Gatten nicht, seine Schulter unter die Bahre zu schieben -sonst hätte ich nicht nur ihn erstochen, sondern auch noch dafür gesorgt, dass der Doge in die Tote Lagune gefallen wäre.
    Was freilich zu Boden fiel, war die schwere Scheide; irgendwie war sie beim Blankziehen aus dem Gehänge an meinem Gürtel herausgerutscht. Klirrend fiel sie auf das Kopfsteinpflaster und verriet auch weiterhin geräuschvoll ihr Vorhandensein, da viele sich bewegende Füße auf ihr herumtrampelten und sie umherstießen. Das Herz klopfte mir bis zum Hals hinauf und wäre mir ums Haar aus dem Mund gesprungen, als ausgerechnet Ilarias Gatte sich bückte und die Scheide aufhob. Aber er stieß keinen Schrei aus, sondern reichte sie mir mit den überaus freundlichen Worten zurück: »Hier, junger Mann, das habt Ihr fallen lassen.« Ich stand immer noch unmittelbar neben ihm, und beide wurden wir immer noch von der Menge um uns herum geschoben und gestoßen; ich hatte den Degen unter dem Umhang in der Hand, und dies wäre genau der richtige Augenblick gewesen zuzustoßen -doch wie sollte ich? Er hatte mich vor dem unmittelbaren Entdecktwerden gerettet; konnte ich ihn als Dank dafür niederstechen?
    Doch dann ließ sich leise zischend eine andere Stimme neben mir vernehmen: »Du dummer asenazzol«, jemand anders stieß einen röchelnden Laut aus, und etwas Metallisches blinkte im Licht der Fackeln aus. All das vollzog sich am Rande meines Gesichtsfeldes, und so blieben meine Eindrücke

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