Marco Polo der Besessene 1
bruchstückhaft und verworren. Allerdings schien es derjenige von den Priestern zu sein, der ein goldenes Weihrauchgefäß geschwenkt und dann unversehens statt dessen etwas Silbriges geschwungen hatte. Sodann sank langsam Ilarias Gatte in mein Blickfeld, machte den Mund auf und würgte etwas hervor, das bei diesem Licht schwarz aussah. Ich hatte ihm nichts getan, wohl aber war ihm etwas geschehen. Er wankte
und fiel gegen die anderen Männer in der gedrängt stehenden
Gruppe, und er und zwei andere fielen zu Boden.
Dann legte sich mir eine harte Hand auf die Schulter, von der
ich mich freilich losriß; der Schwung dieser Bewegung trug mich
heraus aus dem Mittelpunkt des Tumultes. Während ich mich
durch die Reihen der Außenstehenden drängte und ein paar
von ihnen dabei anrempelte, dass sie mir Platz machten, ließ
ich meine Degenscheide ein zweites Mal fallen, blieb jedoch
keinen Moment stehen. Ich war von Panik ergriffen und konnte
an nichts anderes denken als daran, die Beine in die Hand zu
nehmen. Hinter mir hörte ich erstaunte und empörte Rufe, doch
hatte ich mich mittlerweile ein ganzes Stück von den vielen
Fackeln und Kerzen entfernt und war eingehüllt von Nebel und
Dunkel.
Ich lief weiter die Uferböschung entlang, bis ich zwei neue
Gestalten vor mir im nebligen Dunkel auftauchen sah. Ich hätte
ausweichen können, doch erkannte ich, dass es sich um die
Gestalten von Kindern handelte, die sich nach wenigen
Augenblicken als Ubaldo und Doris Tagia-bue entpuppten. Mir
fiel ein Stein von der Seele, endlich jemand vor mir zu haben,
den ich kannte -und noch nicht erwachsen war. Ich versuchte,
ein frohes Gesicht aufzusetzen, zog dabei jedoch vermutlich
eine Grimasse; trotzdem begrüßte ich sie äußerst fröhlich:
»Doris, du bist immer noch sauber geschrubbt.«
»Was man von dir nicht behaupten kann«, sagte sie und zeigte
auf mich.
Ich sah an mir herunter. Die Vorderseite meines Umhangs war
vollgesogen mit mehr als caligo-Nebel. Sie war mit
leuchtendrotem Blut bespritzt.
»Und im Gesicht bist du bleich wie ein Grabstein«, sagte
Ubaldo. »Was ist geschehen, Marco?«
»Ich bin... ums Haar wäre ich zu einem bravo geworden«, sagte
ich, und fast hätte mir die Stimme versagt. Sie starrten mich an,
und ich erklärte es. Es tat gut, es jemand zu erzählen, der mit
der ganzen Sache nichts zu tun hatte. »Meine Dame hat mich
ausgeschickt, einen Mann zu erschlagen. Aber ich meine, er ist
gestorben, ehe ich es habe tun können. Ein anderer Feind muß
mir zuvorgekommen sein -oder aber einen bravo in Dienst
genommen haben.«
»Du glaubst, er ist tot?« rief Ubaldo aus.
»Es geschah ja alles auf einmal. Ich mußte fliehen.
Wahrscheinlich werde ich nicht erfahren, was wirklich
geschehen ist, bis die Ausrufer von der Nachtwache es
verkünden.«
»Und wo war das?«
»Dahinten, wo der tote Doge gerade auf seine Barke gehoben
wird. Oder vielleicht ist es noch nicht geschehen. Es ist ja ein
Riesendurcheinander.«
»Ich könnte hinlaufen und nachsehen. Ich kann es dir schneller
sagen als ein Ausrufer.«
»Ja«, sagte ich. »Aber sieh dich vor, Boldo. Sie werden jeden
Fremden verdächtigen.«
Er lief in die Richtung, aus der ich gekommen war, und Doris
und ich nahmen auf einem Poller am Wasser Platz. Ernst
blickte sie mich an,
und dann sagte sie: »Der Mann war der Gatte der Dame.« Zwar
hatte sie es nicht als Frage formuliert, doch ich nickte stumm.
»Und du hoffst, seinen Platz einzunehmen.«
»Das habe ich bereits«, erklärte ich so prahlerisch, wie ich es in
diesem Augenblick fertigbrachte. Doris schien
zusammenzufahren, und so fügte ich wahrheitsgemäß hinzu:
»Einmal jedenfalls.«
Dieser Nachmittag schien jetzt in weiter Ferne zu liegen, und im
Moment verspürte ich nicht das geringste Verlangen, ihn zu
wiederholen. Sonderbar, dachte ich bei mir, wie Angst die Glut
eines Mannes ersticken kann. Denn selbst wenn ich jetzt in
Ilarias Gemach wäre, und sie wäre nackt und lächelte
einladend, ich könnte einfach nicht...
»Kann sein, dass du in Teufels Küche kommst«, ließ Doris sich
vernehmen, woraufhin bei mir auch noch der Rest der Glut
erlosch.
»Das glaube ich nicht«, sagte ich, mehr in dem Bemühen, mich
selbst zu überzeugen als das Mädchen. »Ich habe weiter nichts
Schlimmes getan, als zu sein, wo ich nicht hingehörte.
Außerdem bin ich entschlüpft, ohne
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